Amokfahrt unter Drogeneinfluss - trägt Polizei Mitschuld ?
Bizarres Szenario vor Gericht: Ein psychisch Kranker lässt sich nicht vom Autodiebstahl abhalten – und verursacht schweren Unfall. Der langjährige Drogensüchtige, der auch unter Psychosen leidet, begeht innerhalb von wenigen Stunden vier Straftaten.
Eigentlich ist es eine tieftraurige Geschichte, die am Donnerstag im Landgericht Hannover verhandelt wurde. Ein langjähriger Drogenabhängiger, auch unter Psychosen leidend, begeht innerhalb von wenigen Stunden vier Straftaten. Im Zustand verminderter Schuldfähigkeit verletzt er zwei Menschen, ruiniert fremdes Eigentum und nimmt aufgrund seines Leichtsinns sogar den Tod anderer in Kauf. Autodiebstahl, Fahren unter Alkoholeinfluss, Fahren ohne Führerschein und Körperverletzung: Das klagt die Staatsanwaltschaft an. Doch ist das Szenario, das sich vor der 2. Großen Strafkammer entfaltet, so bizarr, dass sich die Prozessbeteiligten das Lachen oft nicht verkneifen können.
Das Drama beginnt an einem Dienstag im Juli 2012, morgens gegen elf. Eine Frau möchte auf einem Parkplatz am Roderbruchmarkt in ihren Opel Corsa steigen. Doch darin sitzt ein Mann, den die Polizei später als den 36-jährigen Andreas T. identifiziert. Er versucht, den Wagen kurzzuschließen. Die Besitzerin stellt ihn zur Rede, es kommt zu einem heftigen Wortwechsel, dann schubst er die Frau gegen ihren Corsa. Später diagnostiziert ein Arzt Prellungen, das Opfer hat Angststörungen, ist knapp zwei Wochen krankgeschrieben. Der Mann läuft Richtung Medizinische Hochschule. Dort steigt er zu einem älteren Herrn ins Auto und bittet darum, ihn nach Hause zu fahren. Zum Roderbruchmarkt. Man unterhält sich, hört ein wenig Musik. Der Wagen stoppt auf dem Parkplatz, wo Beamte bereits Zeugen zu dem versuchten Autodiebstahl befragen. Andreas T. hat offenkundig kein Problem, sich der Polizei zu stellen.
Der 36-Jährige wird zur Polizeiinspektion Süd nach Döhren gebracht. Auf der Fahrt zur Hildesheimer Straße wird er aggressiv, man legt ihm Handfesseln an. Ja, Andreas T. habe ein wenig verwirrt gewirkt, sagt ein Beamter, und nach Alkohol habe er auch gerochen. Der Fall wird protokolliert, gegen 13.30 Uhr darf T. das Polizeigebäude verlassen. Ein Beamter auf einem Mountainbike soll ihn noch einen Moment im Auge behalten; es gibt Menschen, so erfährt das Gericht, die nach ihrem Besuch auf einer Polizeiwache gerne die Spiegel von Einsatzfahrzeugen abtreten. Doch der 36-Jährige hat anderes im Sinn: Er will wieder Auto fahren.
T. geht zu einer Tankstelle auf der anderen Straßenseite. Dort möchte ein Rentner seinen Mitsubishi Galant zur Abgasuntersuchung vorführen. Er lässt den Motor laufen, damit dieser die richtige Betriebstemperatur hat, geht kurz in den Verkaufsraum. Als er herauskommt, sieht er nur noch die Rücklichter seines Wagens. Am Steuer sitzt Andreas T. Er fährt auf der Straße An der Wollebahn Richtung Osten, wendet und rast zurück Richtung Tankstelle. Auf Höhe des Freizeitheims katapultiert er einen Citroën C 4 von der Straße, in dem eine 29-jährige Lehrerin mit Stieftochter und Hund sitzt. Der gestohlene Mitsubishi schleudert gegen einen Ampelmast, der stürzt auf die Fahrbahn. Der Rentner steht nur wenige Meter daneben und muss fassungslos mitansehen, wie sein Wagen zerlegt wird. Auch etliche Polizisten von der Inspektion Süd werden vom Knallen und Klirren aufgeschreckt. Ein Beamter sagt später aus, T. habe „euphorisch“ gewirkt und begeistert erzählt, er sei „mindestens 130 gefahren“.
Die Schadensbilanz: Der Wagen der Lehrerin ist Schrott, sie selbst leicht verletzt. Das Auto des Rentners? Totalschaden. Den Zeitwert von 3000 Euro ersetzt ihm niemand. Andreas T. ist ebenfalls nur leicht verletzt, und zum Glück war gerade kein Radfahrer oder Fußgänger auf der Hildesheimer Straße unterwegs. Bei seiner zweiten Festnahme an diesem Tag werden in einem Schnelltest auf dem Polizeipräsidium auch die einnahme verschiedener Drogen nachgewiesen. Darunter vor allem Schmerzhemmer, was nicht zuletzt auch auf Aussage des Andreas T. selbst zurückgeht. Ein zweites Mal ließen ihn die Beamten an diesem Tag nicht wieder laufen.
Seit seiner Amokfahrt ist T. in der psychiatrischen Klinik Wunstorf untergebracht. Er ist drogensüchtig, alkoholabhängig, konsumiert Schmerzmittel. Seit 1998 wird er mit Ersatzmedikamenten substituiert, doch eine Langzeittherapie ist er noch nie angegangen. Sucht und Psychosen haben zu schweren Persönlichkeitsveränderungen geführt. 14 Vorstrafen unter dem Begriff „Beschaffungskriminalität“ verzeichnen die Akten. Zwei Sachverständige tendieren dahin, den 36-Jährigen in der Psychiatrie zu behalten – auf unbestimmte Dauer. Verteidigerin Tanja Brettschneider würde ihren Mandanten lieber – zeitlich begrenzt – in einer Entziehungsanstalt unterbringen, auch wenn dies mit einer Freiheitsstrafe verbunden wäre. In einer Woche eröffnet der Vorsitzende Richter Frank Rosenow die Verhandlung vor dem zivilen Strafgericht in Hannover.
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