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Wap, wap, wap, wap, wap - das Geräusch klingt wie ein Rallye-Bolide
Sekunden vor dem Start einer Wertungsprüfung. 8.100 Touren, Vollgas -
die Drehzahlnadel schlackert im Begrenzer. Doch wir stehen nicht am
Start einer Rallye, sondern auf der sport auto-Messstrecke.
Überall nur „wap, wap, wap, wap“, dann . fliegt die Kupplung.
Karosserie, Instrumentenbrett, einfach alles ächzt unter der Belastung
wie eine Holzhütte bei einem Wirbelsturm.
555 PS mit der Hand verwalten
Die verstärkte Zweischeiben-Kupplung von Exedy überlebt den K.o.-Punch,
während der Pilot die Gänge des knackigen Fünfgang-Getriebes
durchreist. 555 PS stanzen ohne spürbaren Schlupf 100 km/h in nur 3,7
Sekunden aufs Messgerät. Drei Komma sieben, handgeschaltet - willkommen
im hg500r alias Über-Mitsubishi Evo X von Gassner Motorsport.
Danke, dass wir das in der automatisierten Welt von Doppelkupplungsgetriebe und Wandlerautomaten noch mal erleben
durften. Doch bevor wir ein Hohelied auf den guten alten Handschalter
singen, atmen wir durch. Alle Antriebswellen haben den Vollgasschock
überlebt. (Hier gibt es die Meinungen zum Sterben des Schaltgetriebes ).
Zeit, die Geschichte von vorne zu erzählen. Und die beginnt in einer
Werkstatt in der oberbayrischen 9000-Seelen-Gemeinde Ainring. Überall
finden sich Rallye-Fotografien, Siegertrophäen und Ersatzteile - Audienz
beim deutschen Evo-Gott und mehrfachen deutschen Rallye-Meister Hermann
Gassner.
Mitsubishi Evo mit 555 statt 295 PS
Neben dem Aufbau und Servicevon Rallye-Evos führen Gassner und sein Team den offiziellen
Teilevertrieb der 2005 geschlossenen Mitsubishi-Kundensportabteilung
Ralliart fort und tunen außerdem Straßenautos.
Runter vom Hof,
ab durch den Kreisverkehr, raus auf den nächsten Feldweg. Relaxt hockt
sich Gassner im Fleece-Shirt in den Schalensitz seines Gruppe
N-Rallyewagens samt Sponsorenaufklebern und begleitet den schneeweißen
Tuning-Evo zur Fotofahrt. Anderswo hätte solch eine Aktion auf
öffentlichen Straßen eine Hundertschaft Uniformierte hinter den Hecken
hervorgerufen. Fotos im Kasten, Mittagspause für Hermann Gassner, wir
drehen ab gen Autobahn. Hockenheim ruft, noch 467,9 Kilometer.
Stumme Passagiere auf der Rücksitzbank und im Kofferraum sind
brandneue Pirelli P Zero Trofeo R-Semislicks. „Sonst sind die bis
Hockenheim bei dem Sturz schon runter“, hatte Gassner die
Vorsichtsmaßnahme beschrieben. Dank einstellbarem Tein Super
Racing-Gewindefahrwerk duckt sich der Allradler 40 mm tiefer über den
Asphalt. Trotz straffer Abstimmung bleibt der Federungskomfort gerade
noch alltagstauglich.
Das Wörtchen Geradeauslauf kann man
dagegen getrost aus seinem Vokabular streichen. Durch die unter
fahrdynamischen Gesichtspunkten optimierte Achsgeometrie (Sturz vorn:
2°40’, hinten: 2°00’; Spur vorn: 0°03’, hinten: 0°06’) saugt sich der
Brachial-Evo in jede Spurrille. Plötzlich taucht vor uns ein
Polizei-VW-Bus auf. „Bitte folgen“ leuchtet auf. Der Pulsschlag hält
sich in Grenzen, da alle Umbauten im Wert eines Golf GTI über eine
TÜV-Eintragung verfügen. Außerdem sind wir auf die wohl
autobegeistertsten Beamten der Republik getroffen: „Mach mal die
Motorhaube auf und lass mal was hören.“ Dann lauschen zwei Staatsdiener
mit großen Augen.
Lass mal was hören Ja, der hat statt 295 wirklich 555 PS. Wie geht das? Veränderte Ansaugung, größere Einspritzdüsen, eine zweite Benzinpumpe, neue
Schmiedekolben und Schmiedepleuel, andere Nockenwellen, ein
modifizierter Serien-Turbolader, ein größerer Ladeluftkühler und 1,9 bar
maximalen Ladedruck statt 1,2 bar in Serie. „Dann noch viel Spaß“,
verabschieden sich die Polizisten nach einem Erinnerungsfoto. Danke,
werden wir haben. Oder etwa nicht?
„Bing“ - im Kombiinstrument
flammt die Motorleuchte auf. Kurzer Anruf in der Gassner-Werkstatt,
aber kein Grund zur Sorge. „Es wär eher komisch, wenn bei einem richtig
getunten Evo da nichts leuchten würde“, lautet die Antwort. Also weiter
das Pedal bis zur Bodengruppe treten. Die Tachonadel zittert bis knapp
300. Während unter 3.500/min ein leichtes Turboloch herrscht, dreht der
Gassner-Evo unter Volllast unfassbare 8.100 Touren. Rumzuckeln mag der
Flügelbomber übrigens nicht - bei Halbgas tritt im mittleren
Drehzahlbereich ein leichtes Schieberuckeln auf.
Schneller als Ferrari 458 Italia
Egal, wie viel Last anliegt - gegen das Saufgelage des Evo sind
Oktoberfestgänger Waisenkinder. Rund 20 Liter sprudeln auf 100 Kilometer
aus dem Tank, dabei rußt der hg500r aus den 130er-Ofenrohren der
HJS-Komplettanlage mit Metallkat wie ein Kohlekraftwerk. „Den musst du
so fett einstellen, sonst verglüht der dir“, hatte Hermann Gassner
vorher erzählt.
Doch auch die 30-Liter-Marke kann man
ebenfalls problemlos knacken, so wie zum Beispiel auf dem Kleinen Kurs
in Hockenheim. Hier zimmert der hg500r mit bestalischer Allradtraktion
um den Kurs und überfliegt selbst die höchsten Kerbs, als ob sie aus
Watte wären. Angesichts der extremen Fahrstabilität ist man fast
geneigt, in der Sachskurve über die Wiese abzukürzen.
Dabei
ist die Fahrwerksabstimmung mit einem leichten Einlenkuntersteuern sowie
Untersteuern unter Last noch eher etwas konservativ gewählt. Was für
die Nordschleife passend wäre, könnte in Hockenheim noch einen Schuss
mehr Agilitäts-Tabasco vertragen. Auf Lastwechsel reagiert der hg500r
unaufgeregt. Erst bei extrem provozierten Lastwechseln dreht sich das
Heck leicht ein. Etwas weniger Vorspur hinten könnte in engen Ecken die
Agilität noch fördern.
Doch wir jammern schon wieder auf ganz, ganz hohem Niveau. Mit einer Rundenzeit auf dem Hockenheimring
von 1.10,4 Minuten schlägt der Gassner-Evo Topsportler wie den Mercedes
SLS AMG (1.10,8 min), den Ferrari 458 Italia (1.10,5 min) oder auch den
Supertest-Kandidaten Audi R8 V10 plus (1.10,6 min). Chapeau Gassner! Eine wahnsinnige Leistung, oder wie man in Ainring wohl kurz und knapp sagen würde: Respekt!
Nochwas:
Das maximale Drehmoment klettert von 366 auf 612 Nm.
Quelle: http://www.sportauto.de/einzel…d-geschaltet-7053894.html