Die Lohn-Revolution !

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  • Neues Lohnmodell - Die Lohn-Revolution
    Welches Gehalt darf's denn sein?


    Gehalt frei Schnauze: Das Tagungshotel Schindlerhof in Nürnberg zahlt allen Mitarbeitern, was sie wollen - und die Kollegen für richtig halten. Die Selbstbedienung lohnt sich für den Hof und andere Gehaltsdemokraten. Doch das Modell funktioniert längst nicht überall.Die 50 Angestellten und 20 Azubis im Tagungshotel Schindlerhof in Nürnberg-Boxdorf lesen den Gästen jeden Wunsch von den Augen ab. Für Japan-Fans sind Zimmer im Ryokan-Stil eingerichtet, auf dem Futon liegt ein Kimono bereit. Auto-Freaks schlummern in Betten mit Smart-Frontpartie und Sportfelgen an den Seiten. Hobbyastronomen projizieren per Fernbedienung Sternbilder an die Decke oder betrachten die Originale durchs Fernrohr. Und wer lieber klassisch nächtigt, bucht ein Landhauszimmer ohne Schnickschnack.
    Auch für die Angestellten, die Mitunternehmer genannt werden, gibt der Schindlerhof ein Wunschkonzert: Sie wählen aus einem breiten Weiterbildungsprogramm, lassen sich auf Kosten des Hauses vom Nikotin entwöhnen, gestalten nach eigenen Ideen ihren Arbeitsplatz - und ihr Einkommen. "Jeder wird vor der Einstellung gefragt, was sein Wunschgehalt ist", sagt Nicole Kobjoll, die seit 2000 das Hotel mitleitet, das ihre Eltern Renate und Klaus Kobjoll gegründeten haben. "Er oder sie wird gebeten, es selbst sensibel festzulegen, unter Berücksichtigung des bisherigen Gehalts. Wir zahlen dann das Wunschgehalt."


    Die Idee, Mitarbeiter ihr Gehalt weitgehend selbst bestimmen zu lassen, machte den brasilianischen Unternehmer Ricardo Semler in den neunziger Jahren berühmt - und reich. Unter seiner Regie steigerte das Familienunternehmen Semco den Umsatz um das 500fache, sein Buch "Das Semco System" wurde ein Bestseller. Semler rief die Gehaltsrevolution aus: Gehälter wurden veröffentlicht; ein Teil der Mitarbeiter legte selbst fest, wie viel sie verdienten; wer wollte, konnte sein Gehalt an den Unternehmensgewinn koppeln.
    Die Idee zündete auch in Europa. Bis heute: Wo Geld fair verteilt wird, sind die Mitarbeiter motivierter, sie leisten mehr und spielen so ein Vielfaches dessen ein, was ihr Unternehmen an höheren Gehältern zahlt.
    Hotelier Klaus Kobjoll hat Transparenz und Mitsprache zum Prinzip seiner Unternehmensführung gemacht. Gemeinsam mit der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt entwickelte er den "MAX Mitarbeiteraktienindex", ein computergestütztes Feedback-System, mit dem die Mitarbeiter von Monat zu Monat ihre Leistung in 16 Kategorien, etwa Engagement in Projekten oder Pünktlichkeit, selbst bewerten. Wie an der Börse steigt oder fällt der Kurs. Derjenige, der den höchsten Zuwachs in einem Monat verzeichnet, erhält ein Geschenk. Das beste Team des Jahres geht vornehm essen. "MAX wird von uns spielerisch gesehen", sagt Nicole Kobjoll. "Er bringt den Mitarbeitern nur Gutes, wenn sie gut sind. Wenn sie nicht gut abschneiden, hat das keine Auswirkung."
    Der Erfolg gibt den Kobjolls recht, denn mit einem Pro-Kopf-Umsatz von 125.000 Euro - Azubis werden dabei nicht voll gerechnet - gehört der Schindlerhof zu den profitabelsten Unternehmen seiner Branche. Dafür wurde das Hotel 2012 zum dritten Mal nach 1998 und 2003 mit dem Ludwig-Erhard-Preis ausgezeichnet.


    Über Geld spricht man


    Benno Löffler, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Vollmer & Scheffczyk in Hannover, betont die immateriellen Vorzüge der Gehaltsdemokratie: "Wir sind noch unbürokratischer und wandlungsfähiger geworden, wir lernen schneller und ergreifen Chancen beherzter. Selbstbestimmung - um die geht es uns - macht uns schneller." Vollmer & Scheffczyk zahlt seinen 25 Mitarbeitern je nach Tätigkeit Jahresgehälter zwischen 27.000 und 150.000 Euro. Wer meint, mehr verdienen zu müssen, sagt das öffentlich - und bekommt in der Regel mehr. Genauso können die Mitarbeiter ihr Gehalt herunterfahren, wenn sie das für richtig halten. "Bevor sich ein Mitarbeiter für eine Gehaltserhöhung oder eine -senkung entscheidet, konsultiert er mindestens zwei Kollegen", erläutert Löffler.
    Die soziale Kontrolle verhindert Ausreißer nach oben wie nach unten. Einmal hat Löffler es erlebt, dass eine Gehaltsforderung jenseits von Gut und Böse lag. Das Feedback der Kollegen habe den Mann rasch auf den Teppich zurückgeholt. Zur realistischen Selbsteinschätzung trägt bei, dass die Beratung freien Einblick in ihre Bücher gewährt. So weiß jeder, wie viel Gehalt sich das Unternehmen leisten kann.
    Bei den Offenbacher CPP-Studios, die Werbung, Beratung und Events anbieten, geht die Transparenz so weit, dass die Mitarbeiter auf Basis der aktuellen Geschäftszahlen einen Einheitslohn beschließen. Ob Programmierer, Techniker oder Autor - gleiches Geld für alle. "Die Beispiele für Gehaltsdemokratie haben schon etwas von einem PR-Gag", meint Jürgen Hesse, Gründer des bundesweit tätigen Büros für Berufsstrategie Hesse/Schrader.
    Noch skeptischer ist Olaf Lang, der den Bereich Vergütung der Managementberatung Towers Watson Deutschland in Wiesbaden leitet. Wo Mitarbeiter selbst bestimmten, wie viel sie verdienten, führe das zu großen Gehaltsunterschieden zwischen ähnlichen Jobs. Leistungsanreize gingen verloren. "Außerdem führt volle Transparenz eher zu einem erhöhten Diskussionsbedarf und zu einer gefühlten Ungerechtigkeit", sagt Lang. Sein Urteil zur Gehaltsrevolution: "Insgesamt untauglich."


    Auf die Größe kommt es an


    Viele Praxisbeispiele finden sich nur in der Gewichtsklasse bis 100 Mitarbeiter. Warum das so ist, weiß Adi Drotleff aus eigener Erfahrung. Der Gründer und Verwaltungsratsvorsitzende des im oberbayerischen Weßling beheimateten Softwarehauses Mensch und Maschine gehört zu den Vätern der Gehaltsdemokratie in Deutschland.
    Er machte Schlagzeilen, als er 1986 das "gläserne Gehaltssystem" einführte: Lohnerhöhungen wurden per Wahl verteilt, das heißt, die Mitarbeiter stimmten elektronisch darüber ab, wer wie viel Prozent mehr - oder weniger - erhalten sollte. Das setzte voraus, dass alle Gehälter offen lagen. 23 Jahre, bis 2009, überdauerte das System, in guten wie in schlechten Tagen. "Wir haben es nicht wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten beendet", sagt Drotleff, "sondern weil es sich nur für sehr homogene und nicht zu große Firmen mit unter 100 Mitarbeitern eignet."


    Problematisches Gehaltsgefälle


    Heute hat das Unternehmen mehr als 660 Mitarbeiter, darunter viele im Ausland, sowie viele, die durch Übernahmen hinzugekommen sind. In Hamburg oder München werden andere Gehälter als in Oldenburg oder Weimar gezahlt, ein ähnliches Gefälle herrscht in der Schweiz zwischen den Standorten Zürich und Suhr oder in Österreich zwischen Wien und Großwilfersdorf. "Da würde ein gläsernes Gehaltssystem leider nur Unfrieden stiften", ist Drotleff überzeugt. "Gehälter gleichziehen wäre auch keine Lösung. Dann zahlen wir in strukturschwachen Gegenden zu viel und in Ballungsgebieten zu wenig, was im einen Fall nicht profitabel wäre und im anderen Fall bedeuten würde, dass wir keine guten Leute bekommen - also betriebswirtschaftlicher Selbstmord."
    Ganz hat sich "Mensch und Maschine" aber nicht von seiner gläsernen Tradition verabschiedet. Ein neues Bonussystem kommt voraussichtlich 2013. Auch die 360-Grad-Beurteilung soll wieder auferstehen. Drotleff findet sie auf jeden Fall besser als die Beurteilung allein durch Vorgesetzte. Das Prinzip "Jeder schaut auf jeden", das bereits vor 2009 in seiner Firma galt, sei damals aber nicht unumstritten gewesen. "Wir hatten regelmäßig alle paar Jahre eine heftige interne Abschaffungsdiskussion, immer ausgelöst durch die 'Verlierer'", erzählt Drotleff. "Ich denke, das ist so ähnlich wie mit Spiegel und Waage: Jeder weiß, dass man beides zu Hause haben und regelmäßig nutzen sollte. Aber den wenigsten gefällt die Rückmeldung zu 100 Prozent."


    http://www.spiegel.de/karriere…selber-fest-a-879626.html