Auferstanden aus Ruinen: Die japanische Autoindustrie fasst nach
Fukushima neuen Mut und präsentiert das meistverkaufte E-Auto der Welt.
Für Ryuji Nakayama ist es ein besonderer Tag. Japaner bevorzugen in der
Regel dunkle Anzüge, Nakayama aber trägt an diesem Tag einen grauen.
Dazu hat er die passende Krawatte gewählt, Ton in Ton. Selbst seine
Haarfarbe hat sich anscheinend dem besonderen Anlass entsprechend
angepasst.
Nakayama hat sein gesamtes bisheriges Berufsleben seit 1991 bei Nissan
verbracht und jetzt steht er im Vortragsraum einer großen Halle, die man
als Hall of Fame, als Ruhmeshalle, Nissans ansehen könnte.
Zu sehen sind in Zama, eine Stunde von Tokio entfernt, rund 400
Fahrzeuge aus der Geschichte des Unternehmens, das einmal Datsun hieß
und 1934 in die Nissan Motor Co. Ltd. umbenannt wurde. Vorwiegend
handelt es sich um schlicht gestaltete, uniform wirkende Fahrzeuge,
denen jeder Glamour fehlt. Nakayama ist trotzdem stolz: auf die Historie
der Marke, die vielen Oldtimer und die triste Halle, die er selbst als
Garage bezeichnet.
Wer verstehen will, warum japanische Hersteller nach wie vor überwiegend
schmucklose Autos bauen, die auch heute das Straßenbild Tokios
bestimmen, findet in der Geschichte der Hersteller genauso wie auf dem
neuen Messegelände der Tokio Motor Show Antworten.
Autos dienen der Fortbewegung und dem Transport von Personen und Gütern,
lautet das Credo vieler Fahrzeughalter. Wer sich selbst über ein Auto
definieren möchte, muss schon zu einem deutschen Wagen greifen. Aber das
können sich die meisten nicht leisten. Oder sie wollen es nicht.
Also kaufen sie sogenannte K-Cars, kleine, oft kastenförmige Modelle,
für deren Erwerb nicht der Nachweis eines eigenen Parkplatzes nötig ist.
Es sind reine Nutzfahrzeuge, deren einfältiges Design wohl jedes Kind
zeichnen könnte. Für alle anderen Modelle ist ein eigener Abstellbereich
die Voraussetzung zur Zulassung.
An den Bedürfnissen der eigenen Landsleute sind auch viele neue Modelle
auf der alle zwei Jahre stattfindenden Messe ausgerichtet. Der Mirage
von Mitsubishi ist ein Beispiel dafür. Ein Kompaktwagen mit
Dreizylindermotor. Leicht, preiswert und umweltfreundlich, aber aus
europäischer Sicht unverständlich unansehnlich und ideenlos gestaltet.
Nicht anders sieht der Toyota Aqua aus, ein Kompaktwagen als Hybrid mit 1,5 Liter-Benzinmotor. Dabei wird er als Weltpremiere vorgeführt.
Besonders bei Toyota wird spürbar, in welcher Verfassung der Hersteller
und die Nation sind. Erst stellt Akio Toyoda, der Chef des einst
weltgrößten Herstellers, den neuen Lexus GS vor, dann drei
Toyota-Modelle. Aber eine Rede wie der Japaner hat noch nie ein
Unternehmeschef auf einer Messe gehalten: Er zeigt die neuen Modelle,
wie den supersportlichen, emotionalen GT-68, aber er verliert kein Wort
über die Fahrzeuge.
Toyoda spricht über Fukushimi, Menschen, die nach dem Atomkraftunglück
vom 11. März keine Lebensperspektive mehr sehen und der Flut in
Thailand. Und er kündigt den Bau einer neuen Fabrik in der
Unglücksregion an. "Re Born" steht irgendwo als Motto des Standes
geschrieben.
Die Autos auf der Bühne hinter Toyoda werden zur Nebensache. Es liegt
eine bleierne Schwere über dem Messestand Toyotas. Aber auch in den
anderen Hallen ist es seltsam leise.
Zwei Jahre nach der Messe in Tokio, der alle deutschen und US-Hersteller
wegen der Krise fernblieben, ist in die Ausstellungshallen zwar wieder
mehr Betrieb zu spüren, aber keine Fröhlichkeit und kaum Zuversicht. In
Tokio haben sich 179 Aussteller aus zwölf Ländern angemeldet.
Angekündigt sind 53 Weltpremieren. Aber schon das Thema der Messe kann
zweideutig verstanden werden: "Mobilität kann die Welt verändern". Eine
Welt, die nur rund 300 Kilometer von Tokio entfernt aus den Fugen
geraten ist, aber über die fast niemand mehr spricht.
Toyota büßt in diesem Jahr wohl gut 30 Prozent des Umsatzes von 2010
ein. Das Erdbeben ist Schuld daran, Schäden an Fabriken, aber auch
ungewohnte Mängel an Fahrzeugen, die erst durch Massenrückrufe behoben
werden konnten. Das Image hat gelitten.
Besser läuft es bei Nissan. Konzernchef Carlos Ghosn spricht voller
Selbstvertrauen davon, dass der Elektrowagen Leaf, der ab März (zu
Preisen ab 37.000 Euro) auch in Deutschland zu haben ist, bisher 20.000
Mal verkauft wurde. "Er ist das bestverkaufte E-Auto auf der Welt", ruft
Ghosn. Bis 2016 will Nissan 1,5 Millionen Stromer absetzen. Insgesamt
werden wohl 4,6 Millionen neue Nissans einen Besitzer finden. Ein sehr
gutes Ergebnis.
Zu den Stars der Messe gehört ebenfalls ein Nissan, der Pivo 3. Bei den
ersten beiden Ausgaben durften die Designer noch ungehemmt ihren
Inspirationen folgen. Die dritte Ausgabe ist nun wirklichkeitsnah und
trotzdem außergewöhnlich. Das liegt an der Form, die nach vorn wie ein
angespitzer Eisenbahnschneeschieber wirkt, am Innenraumkonzept mit drei
Plätzen, aber vor allem an einigen technischen Details.
So soll der Pivo 3 sich selbst seinen Parkplatz suchen und natürlich
auch selbst einparken können. Wie ein treues Hündchen kann der Wagen
angeblich auch wieder selbstständig vorfahren: auf Knopfdruck.
Den Nachweis dafür bleibt Nissan aber schuldig. Nicht einmal im Film ist
dieses Kunststück zu sehen. Dafür aber kann der Pivo 3 fast auf der
Stelle wenden, weil die hinteren Räder gegenläufig zu den vorderen
einschlagen.
Von der Ökologiefreundlichkeit und der Wirtschaftlichkeit der Fahrzeuge
spricht man auch bei Mazda. Aber ohne das Wort Elektroauto oder
Hybridantrieb zu nennen. "Wir haben uns auf Antriebe konzentriert, die
schnell und wirkungsvoll der Verbesserung der Umwelt dienen", sagt
Sprecher Jochen Münzinger in Tokio.
Gemeint sind diverse Verbesserungen, wie sie unter dem Begriff "Sky
Activ" zusammengefasst werden. Dazu gehören Leichtbau, eine
geradlinigere Karosseriestruktur, neue Getriebe und vor allem neue
Benzinmotoren mit einer sehr hohen Verdichtung (14:1). Diese Maßnahmen
führen zu Treibstoffeinsparungen beim neuen kompakten Geländewagen CX 5 von 15 Prozent.
Der Kompakt-SUV wird in Deutschland von April an ab 23.490 Euro
angeboten und soll als Benziner (mit 165 PS) 6,0 Liter verbrauchen. Als
Diesel sogar nur 4,5 Liter (mit 150-PS-Motor). Bei VW (mit dem Tiguan)
wird man bei diesen Werten und dem genannten Preis erst einmal tief
durchatmen.
Auch Ryuji Nakayama hat die Messe besucht, besichtigte die neuen
Nissanmodelle und wirkte zufrieden. Was er sah, wird wohl schon bald
auch in der "Heritage Collection" in Fuma zu sehen sein. Denn die
Zukunftsmodelle seiner Marke sollen gebaut und verkauft werden. Für
Spielerein haben die Japaner zurzeit keinen Sinn.
welt.de