100 Jahre Straßenverkehrsordung

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  • Wer sich heute an Tempo-30-Zonen stört, sollte lieber dankbar sein: Die erste Geschwindigkeitsbegrenzung in Deutschland lag bei 15 km/h. Nicht alle hielten sich daran. Seid 100 Jahren gibt es die Straßenverkehrsordung. Zuvor gab es in jedem Land eigene Regeln. Und statt Blinker auch mal Handzeichen.


    Frau Benz hatte ihre liebe Not. Sie war 1888 heimlich mit dem Auto unterwegs, 106 Kilometer von Mannheim nach Pforzheim, die erste echte Überlandfahrt in Deutschland. In Wiesloch bei Heidelberg ging ihrem dreirädrigen Motorwagen das Leichtbenzin aus. Naturgemäß mangelte es an Tankstellen. Gottlob für sie und die Nachwelt fand Bertha Benz aber die Stadtapotheke, wo ihr mit „Ligroin“ ausgeholfen wurde. Eine Pioniertat.


    Es stellen sich natürlich noch viele Fragen: Hatte Frau Benz den außerplanmäßigen Halt in Wiesloch vorher dem Verkehr durch Handzeichen angezeigt? Wurde beim Wiedereinscheren mit gefülltem Tank auch keinem Pferdefuhrwerk die Vorfahrt genommen? Überschritt Frau Benz die zulässige Geschwindigkeit? Und konnte sie am Ziel korrekt einparken? Man wird doch wohl fragen dürfen.


    Die Antwort ist einfach: Da Bertha Benz allein auf der Strecke war, musste sie sich um keine Vorschriften scheren. Erst vor 100 Jahren wurde in Deutschland der Verkehr einheitlich geregelt. Auto fahren war in der Frühzeit ein echtes Abenteuer. Der Verkehr musste sich von selbst regeln. Von Gemütlichkeit keine Rede. Klar, Bertha Benz hatte mit ihren maximal 20 Stundenkilometern viel Zeit, aber schon 1898 stellte ein Franzose mit 63,14 km/h einen Geschwindigkeitsrekord auf. 1901 wurde die Grenze von 100 km/h überschritten.


    Doch die Bürokraten waren nicht faul. Anfang des vorigen Jahrhunderts gab es in den deutschen Ländern ganz unterschiedliche Regeln – 30 verschiedene Verkehrsordnungen. Keine leichte Aufgabe für die Lenker von knapp 4700 in Deutschland registrierten Autos.


    In Hessen galt seit 1899 die Vorschrift, dass Autos so schnell sein durften wie „ein mäßig trabendes Pferd“, also um die 15 km/h. Berlin verlangte ab 1902 „Handsignale“ beim Abbiegen.


    In Baden benötigte man bereits ab 1896 ein Nummernschild, in den meisten anderen Bundesländern erst ab 1901. Preußen regelte als erstes Land die Haftpflicht, die Kennzeichenpflicht und die Betriebssicherheit durch eine Typengenehmigung auf seinem Hoheitsgebiet. Zwei Jahre später, 1903, mussten Autolenker eine Prüfung ablegen, überwacht von Experten des Dampfkesselüberwachungsvereins.


    Frankfurt am Main stellte nur ein „Prüfungsattest“ aus, wenn der Proband „mit der Handhabung des vorgeführten Kraftfahrzeuges vertraut ist“. Wer mit seinem Daimler oder Adler die heimische Landesgrenze verließ, stand mit einem Bein ständig im Gefängnis. Zumindest musste die Geldbörse locker sitzen. Strafzettel waren auch in der Pionierzeit des Autofahrens keine Seltenheit.


    Dabei hatte es Frankreich längst vorgemacht: Die zentralistisch organisierte Nation hatte ihre Kraftfahrer im Griff. Schon 1893 erließ der Pariser Polizeipräsident eine landesweite Anordnung, wonach Motorfahrzeuge nur nach polizeilicher Erlaubnis benutzt werden durften.


    Gleichzeitig wurde verlangt, dass eine Metallplatte mit dem Namen des Eigentümers, dessen Adresse und einer Behördennummer am Auto mitzuführen sei – wohl die ersten Nummernschilder der Welt. Seit 1898 wurden Autos besteuert, 1899 eine einheitliche Verkehrsordnung eingeführt.


    Deutsche Politiker kümmerten sich derweil lieber um andere Dinge. Im Februar 1904 diskutierte der Reichstag ein Vermummungsverbot für Kraftfahrer, weil diese bei Verkehrsverstößen wegen diverser Brillen, Hauben und Binden nicht zu erkennen seien – obwohl es eine Vorschrift zum „Tragen von Schutzkleidern“ gab.


    Im Jahr 1906 kümmerte sich die Reichsregierung zunächst um die Finanzen: Mehr als 10.000 Autos waren unterwegs – da lohnte sich endlich eine einheitliche Kfz-Steuer. Deren Berechnung war allerdings kompliziert: Ein Steuer-PS war gleich 0,3 mal Zahl der Zylinder mal Zylinderbohrung im Quadrat mal Kolbenhub. Die Automobilisten zahlten brav. 1907 nahm der Staat damit immerhin 1,599 Millionen Mark ein.


    Nicht nur Autofahrer waren mit den vielen Ge- und Verboten überfordert, auch Autobauer wie der Ingenieur Karl Maybach und sein Begleiter Karl Keßler. Einmal missachteten beide die geltenden Regeln in Rottweil. Sie „rasten“ gegen 17.30 Uhr mit zwölf Stundenkilometern durch den Ort, was den Gendarmen nicht gefiel. Die Strafe: je zwölf Mark Geldbuße oder je zwei Tage Haft. Da ein Gefängnisaufenthalt von Karl Maybach nicht überliefert ist, wird er sich für die zweite Variante entschieden haben.


    Am 30. September 1907 war die erste vollständige deutsche Unfallstatistik über zwölf Monate fertig – sie unterstrich die Notwendigkeit von Regeln: 143 Tote, davon 13 am Steuer, bei etwa 16?.000 registrierten Autos. Im Jahr 1907 war das Risiko, im Straßenverkehr zu sterben, bezogen auf den Autobestand, 62-mal so hoch wie 100 Jahre später.


    Kaiser Wilhelm II. war auf Mittelmeerreise, als er endlich dem „Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen“ am 3. Mai 1909 seinen Segen gab. Dort wurde festgelegt, dass innerorts mit höchstens 15 km/h gefahren werden durfte. Das mäßig trabende Pferd hatte sich vorläufig durchgesetzt.


    Gemeinsam mit der „Verordnung über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen“ vom 3. Februar 1910 trat das Gesetz am 1. April 1910 in Kraft, wobei Verhaltensmaßregeln und technische Rahmenbedingungen damals nicht so strikt getrennt waren wie in der heute gültigen Kraftfahrzeug- und Kraftfahrzeugzulassungsordnung.


    Immerhin wurden bereits Führerscheinklassen, Führerscheinerwerb, Zulassung, Betriebserlaubnis, Kfz-Steuer, Anhängerbetrieb, technische Überwachung und die Erstellung von Statistiken geregelt. Die Piratenzeit des Autofahrens war vorüber. Das hielt Autobesitzer aber nicht davon ab, die ungeliebten Kennzeichen mit Fett einzuschmieren und sie durch den darauf haftenden Staub unlesbar zu machen.


    Damit die Daten der künftigen Verkehrssünder nicht verloren gingen, wurde übrigens zeitgleich beim Polizeipräsidium in Berlin eine „Sammelstelle für Nachrichten über Führer von Kraftfahrzeugen“ eingerichtet – die Urform der Flensburger Punktekartei des Kraftfahrt-Bundesamtes. Aber das ist eine andere Geschichte.


    Bertha Benz übrigens starb 1944 im Alter von 94 Jahren. Sie fuhr gern Auto und hielt sich, soweit man weiß, immer an die Regeln.



    Welt Online