Zwangsarbeit und Unterstützung von Folter bei VW Brasilien
"Wir haben den Bewohnern dieser Region die Zivilisation und die Möglichkeit eines anständigen Lebens gebracht." So drückt es Wolfgang Sauer, der ehemalige Chef des Tochterunternehmens von Volkswagen in Brasilien, in seiner Biografie aus. Die Region, die Sauer anspricht, ist der Bundesstaat Pará im brasilianischen Amazonas-Becken, 2.000 Kilometer nördlich von der Industriemetropole São Paulo. Hier betrieb der Autobauer Volkswagen ab Mitte der 1970er-Jahre rund 15 Jahre lang eine Farm. Rindersteaks der Marke VW sollten der nächste Erfolg werden, nachdem der Käfer in Brasilien schon zum Verkaufsschlager geworden war.
Zwangsarbeiter roden Regenwald für VW-Steaks
Recherchen von NDR, SWR und "Süddeutscher Zeitung" lassen Zweifel an der Modellhaftigkeit des Projektes aufkommen. Für die VW-Steaks wurden zwölf Jahre lang riesige Flächen Regenwald gerodet, die Farm umfasste eine Fläche von rund 140.000 Hektar. Tausende Leiharbeiter sollen dafür unter unmenschlichen Bedingungen beschäftigt worden sein. Auf dem Gelände wurden offenbar mit dem Wissen des damaligen Farm-Managements Zwangsarbeiter eingesetzt. Reporter der drei Medien konnten Dutzende Protokolle von Aussagen ehemaliger Leiharbeiter und Polizeiberichte auswerten sowie mit Arbeitern und Verantwortlichen sprechen.
Das Tochterunternehmen des Wolfsburger Autobauers plante in den 70er-Jahren den Einstieg in das Fleischgeschäft - auf Einladung der brasilianischen Militärregierung, die mit Steuererleichterungen lockte. Dafür gründete VW Brasilien im Jahr 1973 die "Companhia Vale do Rio Cristalino", eine Farm im brasilianischen Bundesstaat Pará. Um Arbeitskräfte für die Rodung des Waldes im Amazonasbecken zu finden, wurden Vermittler beauftragt.
System von Schuldknechtschaft
Diese Arbeitsvermittler entwickelten den Recherchen zufolge ein System von Schuldknechtschaft. Sie rekrutierten Männer aus umliegenden Bundesstaaten. Nachdem sie an der Farm angekommen waren, oft nach mehrtägiger Anreise, berechneten die Vermittler nach Schilderungen der Arbeiter entgegen den Absprachen den Transport zur Farm - zur Abarbeitung dieser "Schulden" wurden sie gezwungen, den Wald zu roden. Den Aussagen nach mussten die Leiharbeiter auch für Nahrungsmittel hohe Preise zahlen, sodass sie weiter verschuldet blieben. Sie berichten von Gewalt, massiven Misshandlungen und in Einzelfällen auch Tötungen von Arbeitern auf dem Gelände der Farm, wenn diese versuchten zu fliehen.
Top-Manager bei VW wussten Bescheid
Der ehemalige Manager der VW-Farm im Amazonas bestätigte nun im Interview, vom System der Schuldknechtschaft auf dem Farm-Gelände gewusst zu haben. "Das ist die Praxis, wie damals diese großen Arbeiten durchgeführt wurden", so der heute 79-jährige gebürtige Schweizer Friedrich Brügger. Man habe das System in Kauf nehmen müssen, um das Farm-Projekt realisieren zu können. Brügger stand im engen Kontakt zur Unternehmensleitung in São Paulo und in Wolfsburg. Daher muss von einer Mitwisserschaft auch in der niedersächsischen Konzernzentrale ausgegangen werden.
Auch der Einsatz von Gewalt sei ihm bekannt gewesen: "Ja, es wurden schon massive Mittel verwendet, damit sie nicht davonlaufen. Vor allem, wenn sie verschuldet waren." Andere Möglichkeiten sieht der damalige Manager im Rückblick nicht: "Das ist der Brasilianer, der zieht immer den anderen übern Tisch." Dass es auch zu Todesfällen kam, bedauerte Brügger.
Zweifelhafter Versöhnungsversuch
Am gestrigen Tag sollte es zu einem wichtigen Gesprächstermin zwischen VW-Managern aus Deutschland und ehemaligen Geschädigten aus den Produktionsstandorten in Brasilien kommen. VW hatte jahrelang eng mit der Militärdiktatur in Brasilien zusammengearbeitet und die Verhaftung von Regierungsgegnern aus der eigenen Belegschaft mit dem eigenen Werkschutz unterstützt. VW tat das nicht weil sie es mussten, sondern weil man es wollte. Es ging um ein gutes Verhältnis zur regierenden Militärdiktatur. Der Werkschutz der brasilianischen Standorte spielte hierbei eine entscheidende Rolle. Es ist die Rede von Foltermaßnahmen bereits auf dem Werksgelände.
Um die Vorwürfe, welche bereits seit 2011 öffentlich bekannt wurden, endlich beruhigen zu können sollte es gestern zu einem Treffen zwischen ehemaligen Opfern und dem VW Management kommen, bei dem offenbar eine Aussöhnung angestrebt wurde. Der betreute Opferverband erhielt jedoch im Vorfeld zu diesem vom Management veranlassten Termin keinerlei Informationen zum Ablauf und weiteren Plänen des Treffens. VW ließ alle Anfragen hierzu unbeantwortet und so blieben die Ziele unklar. Opfer des damaligen VW-Wirkens befürchteten einen PR-Termin mit großer Feier und einschließenden Verpflichtungserklärungen, die vom Management angestrebt werden.
Da VW hierzu im Vorfeld keinerlei Redebereitschaft zeigte und alle Anfragen des Opferverbands ignorierte, sagten die Opfer kurzerhand die Teilnahme an der Veranstaltung ab und setzten stattdessen eine Demonstration vor dem Werkstor in Sao Paulo an. Auch die Manager-Delegation aus Wolfsburg sagte ihre Anreise ab, nachdem klar war, dass ehemalige Opfer den Termin nicht wahrnehmen werden.
Was als Versönungstermin geplant war, entwickelte sich somit zum PR-Desaster für VW. In Sao Paulo wird der VW Amarok produziert. In anderen Standorten Brasiliens liefen bereits der Fox, der Jetta und der Lupo vom Band. Aktuell wird in Brasilien neben dem Amarok auch der Up! produziert.
MDR-Aktuell 14/12/2017