Schluss mit sinnloser Hingabe
Der deutsche Harald Bölstler ist seit drei Jahren Chef des japanischen LKW-Bauers Mitsubishi Fuso. Welche Erfahrungen er beim Umbau der asiatischen Daimler-Tochter und beim Zusammenprall zweier Managementkulturen macht, beschreibt Bölstler im Handelsblatt-Gespräch.
DÜSSELDORF. Als Firmenchef Harald Bölstler spätabends durch eine Büroetage beim japanischen LKW-Hersteller Mitsubishi Fuso ging, fiel ihm ein Mitarbeiter auf, der einsam am PC saß. "Warum bist du noch da?" fragte der Deutsche. "Kannst du den Job nicht auch in kürzerer Zeit machen?"
Die Antwort verwunderte Bölstler nicht. "Ich könnte schon fertig sein, aber mein Chef will, dass ich lange bleibe", sagte der Angestellte. In solchen Fällen knöpft sich Bölstler den Abteilungsleiter vor und weist ihn auf den neuen Kurs im Unternehmen hin. Der lautet: Das Resultat ist wichtiger als die sinnlose Demonstration von Hingabe.
Solche Erlebnisse hat Bölstler öfters. Der deutsche Manager leitet seit drei Jahren Mitsubishi Fuso, ein Job, der ein klassisches Beispiel für die Herausforderung ist, ein Unternehmen komplett zu verändern und unterschiedliche Managementkulturen zusammenzubringen: hier die Japaner, dort die Schwaben - Fuso gehört seit wenigen Jahren zu 85 Prozent zur Daimler-Gruppe.
Als Bölstler die Leitung des Unternehmens übernahm, brannte es an allen Ecken. Qualitätsmängel und Rückrufaktionen hatten dem Image geschadet. Das Unternehmen verharrte in alten Zeiten. Vor dem Daimler-Einstieg war die Firma Teil des weit verzweigten Mitsubishi-Konglomerats. Zu den Schwesterunternehmen gehörten Werften, Banken, Handelshäuser, Kraftwerksbauer.
Fuso arbeitete umständlich und intransparent, man vermied Fehler und wagte wenig, so lautete die Diagnose. Um daraus ein vollwertiges Mitglied der Daimler-Familie zu machen, musste der 57-Jährige durchgreifen: "Wir haben auch in fast jedem Bereich die Organisation verändert", sagt Bölstler im Gespräch mit dem Handelsblatt. Von 13 Hierarchieebenen wurden acht eliminiert, um auf Daimler-Standard zu kommen. Ziele und Fortschritte sind überprüfbarer geworden.
Wie schafft es ein frisch eingeflogener Deutscher mit nur begrenzten Japanischkenntnissen, ein Unternehmen mit 16 000 asiatischen Mitarbeitern umzukrempeln? "Reden, reden, reden", sagt Bölstler - und Kompetenz zeigen. In Managementkreisen gebe es eine Tendenz, kulturelle Unterschiede überzubewerten. "Wenn man dem Unternehmen einen sichtbaren Mehrwert bringt, dann hat man die halbe Miete in der Tasche", sagt er. Wichtig sei, dass die Mitarbeiter ihm vertrauen.
Bölstler schlugen zwar Widerstände gegen die Änderungen entgegen. "Doch nur zehn Prozent davon sind rational begründet, 90 Prozent sind Emotion", erläutert der studierte Psychologe. Er frage sich bei widerborstigen Managern: Was plagt den? Wo kommt Opposition her? Ein japanischer Einkäufer, der kein Englisch könne, wird nicht plötzlich mit Zulieferern weltweit verhandeln wollen - sondern lieber bei der etablierten Beschaffung innerhalb des Mitsubishi-Verbundes bleiben wollen. Dem Mitarbeiter hat schlicht ein Sprachkurs geholfen.
Bölstler versucht ständig, Ziele und den Sinn der Neuorganisation zu vermitteln. Dem auf Überstunden versessenen Abteilungsleiter erklärte er, was das kurzfristige Interesse des Unternehmens ist und auf welches Langfristinteresse es hinzielt. Bölstler führt im Management ein Denken ein, das stärker auf Resultate ausgerichtet ist. Japan schätzt traditionell "gambaru" hoch ein - "sich sichtbar Mühe geben". Bölstler lässt dagegen die Mitarbeiter zwingen, rechtzeitig heimzugehen und ihren Urlaub auszuschöpfen.
Bei kritischen Personalgesprächen mit höheren Mitarbeitern hilft ihm der 75-jährige Fuso-Chairman Keisuke Egashira, der auch der kulturelle Mittler für ihn sei. Da Egashira Erfahrung in mehreren Industrieunternehmen habe, könne er sich mit ihm gut beraten, wie neue Projekt anzugehen sind. Bölstlers Ziel: Er will Fuso aus einem geschlossenen System in ein offenes System bringen. Eine schwierige Aufgabe: Denn zu Zeiten, als Fuso noch zur Mitsubishi-Gruppe gehörte, haben die Schwesterunternehmen in der Gruppe eingekauft und an die Gruppe verkauft. Exakte Daten über den Geschäftsverlauf waren nicht so wichtig - irgendwie hat sich schon alles querfinanziert.
Als Bölstler kam, konnte er keine aktuellen Verkaufszahlen abrufen. Bei Daimler sind dagegen nicht nur alle Kennziffern verfügbar, sondern auch die künftigen Ziele. So weit ist Fuso bis heute nicht. Der eher vage Ansatz galt sogar bei Planung eines neuen Lasters. Statt von einer Kostenvorgabe kommend erst den Aufwand für einzelne Teile zu schätzen, entwickelten die Fuso-Ingenieure direkt los - so dass der Preis für das Projekt während dessen Entstehung unkontrolliert wuchs. "Wir haben das Verfahren am Anfang nicht begriffen. Die immer neuen Zahlen haben uns schier wahnsinnig gemacht. Wir haben erst gedacht, die planen ja vielleicht einen Mist", sagt der Daimler-Mann.
Wichtigstes Instrument, die neue Richtung durchzusetzen, war die Personalplanung. Sie sieht heute komplett anders aus als zum Amtsantritt. In Japan ist es noch nicht selbstverständlich, dass Ergebnisse wichtiger sind als Dauer der Betriebszugehörigkeit. Ein 71-jähriger Firmenpräsident aus der Mitsubishi-Gruppe hatte Bölstler daher nach Amtsantritt geraten: "Sie müssen junge Führungskräfte einstellen!" Und das traditionelle Senioritätsprinzip? "Alles Bullshit!" sagte der Japaner.
Daimler brüstet sich mit vier Werten, die konzernweit gelten sollen: Disziplin, Respekt, Integrität und Leidenschaft. Bei Fuso sind nicht alle leicht umsetzen. "Die ersten drei könnten die Japaner selbst erfunden haben", sagt Bölstler. Die Förderung von "Leidenschaft" sei aber ziemlich schwierig. Japaner neigen dazu, ihre Gefühle zu verstecken. Abends und privat zeigen sie jedoch viel Emotionen. Es komme jetzt darauf an, den Mitarbeitern in ihren grauen Anzügen ein bisschen Extrovertiertheit auch in der Firma zu erlauben. Stärker ausgeprägt ist eher noch das Beharrungsvermögen. Das mag Bölstler aber lieber als Kehrseite davon sehen, dass seine Mitarbeiter sich auf seinen Befehl hin präzise an vorgegebene Verfahren halten. Das weiß der Manager sehr zu schätzen.
"Mitsubishi Fuso hat sich grundlegend geändert", sagt Roman Ditzer, Experte für die japanische Autoindustrie bei der Japanberatung Jeb Interlogue, und verweist auf den Einfluss von Daimler. Überraschender Effekt: "Es hat auch ein Reimport von Ideen nach Japan stattgefunden", sagt er. Nicht alle japanischen Konzerne arbeiten nach dem bekannten Toyota-Modell. Doch auf dem Umweg über Stuttgart sei beispielsweise die Toyota-Idee von Kaizen, der ständigen Verbesserung, auch bei Fuso in Kawaski angekommen.