30 Jahre Honda, Mitsubishi und Toyota in Deutschland
Vor drei Jahrzehnten lehrten japanische Autobauer den deutschen Konzernen das Fürchten. Heute befinden sich Toyota, Honda und Mitsubishi in Europa auf dem Rückzug. Das offenbart aber nicht nur deren Schwächen - sondern auch den massiven Bedeutungsverlust des europäischen Automarkts. Die Zentrale von Europas größtem Toyota-Händler liegt am Berliner Spreeufer. Ein rundum verglastes Gebäude, großer Garten, Wasserblick. Auf der Terrasse steht ein Holztisch mit Stühlen, alle paar Minuten schwimmt ein Hausboot oder Ausflugsdampfer vorbei. "Mein Hund ist da schon einmal baden gegangen", sagt Burkhard Weller und lacht.
Der Blick zur anderen Seite ruft weniger schöne Erinnerungen hervor. Dort ragt ein noch größeres Haus in den herbstlichen Himmel hoch, ebenfalls gläsern und wuchtig, mit einer reichstagsähnlichen Kuppel. Weller hat das Gebäude errichten lassen - für Toyota. "Das war das Toyota-Flaggschiff in Europa", sagt der Unternehmer.
Mitte Juni 2007 feierte er dort Richtfest. Doch die Erwartungen erfüllten sich nicht, der Absatz der Japaner stagnierte. "Im Juni 2009 zog da schon VW ein", sagt Weller. Der Mann mit den grauen Locken und der Statement-Brille zuckt mit den Schultern: "Europa ist für Toyota eingefroren."
Wellers Welt in der Franklinstraße zeigt im Kleinen, was sich in Europa in den vergangenen Jahren abgespielt hat: Die einst als Angreifer gefürchteten japanischen Autokonzerne werden sukzessive vom Markt verdrängt. Weltweit gibt Toyota zwar weiter den Ton an. Doch in der EU kam der größte Autobauer der Welt 2011 nicht über einen Marktanteil von vier Prozent hinaus. Dabei geht es Toyota noch vergleichsweise gut. Die anderen japanischen Hersteller wie Honda, Suzuki, Mazda krebsen bei einem Prozent Marktanteil.
Gründe für den Absturz der Japaner gibt es viele. Nicht alle sind hausgemacht. Am starken Yen kann kein Unternehmen drehen. Waren japanische Autos früher deutlich billiger als die deutsche Konkurrenz, kostet ein Toyota Auris mit 16.650 Euro heute fast so viel wie ein VW Golf. In das Niedrigpreissegment stießen die Koreaner vor - mit Kia und Hyundai. Hyundais Auris-Alternative i30 kostet 650 Euro weniger. Zusammengenommen verkaufen die Koreaner, der neue Angstgegner der Branche, längst mehr Autos in Europa als Toyota.
Dabei waren es die Japaner, die vor drei Jahrzehnten den Deutschen das Fürchten lehrten. Mit Modellen wie dem kleinen Geländewagen Toyota RAV 4 oder Familienvans für Vorstadtmütter besetzten sie Nischen, in denen die Deutschen nichts vorzuweisen hatten. Noch 2003 beanspruchten die Japaner 79,4 Prozent des kompakten Geländewagensegments in Europa für sich. Die Südkoreaner besaßen gerade mal ein Prozent. Die Deutschen: null. Mittlerweile haben die Japaner in dem Wachstumssegment mehr als die Hälfte ihrer Anteile eingebüßt. Die Wende erfolgte 2003: BMW schickte den X3 in den Handel, Hyundai kam kurz darauf mit dem Kia Sportage, VW etwas später mit dem Tiguan. Während RAV 4 kontinuierlich an Marktanteilen verlor, gewann BMW mit dem X3 Kunden im Eiltempo. 2005 überholte der X3 erstmals den RAV 4 mit gut 22.000 zu 17.500 verkauften Exemplaren in Deutschland.
Bei den Vans schlugen die Franzosen mit Modellen wie dem Renault Scénic zurück, später kam VW mit dem Touran. "Marken wie VW und BMW besetzen jetzt alle Nischen", sagt Verkaufsprofi Weller, der nach und nach auch VW- und BMW-Autohäuser errichtete. "Zu Hochzeiten hatte Toyota 35 Modelle, heute sind es weniger als 20."Wie ernst die Europäer einst die Asiaten nahmen, zeigt ein alter Titel des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel": ein schlitzäugiges, comichaftes Modell, dazu die Zeile: "Europa kommt unter die Räder". Zeitgeist anno 1980. Im Heft kamen hochkarätige Manager und Politiker zu Wort, die sich vor der neuen Konkurrenz fürchteten: "Wenn die Japaner kommen, müssen wir uns warm anziehen", prophezeite der damalige Volkswagen-Chef Toni Schmücker. "Jedermann muss klar sein, dass es für die europäische Autoindustrie ums Überleben geht", warnte der damalige Ford-Europachef Bob Lutz. Und Otto Graf Lambsdorff, Bundeswirtschaftsminister und als FDP-Mann eigentlich Verfechter freien Welthandels, redete den Japanern sogar ins Gewissen: Sie sollten bei ihren Autoausfuhren "weise Selbstbeschränkung" üben.
Die Zeiten sind längst vorbei. "Das Geschäft ist sehr schwierig", sagt Toyotas Deutschland-Präsident Toshiaki Yasuda. Nicht alle japanischen Autobauer werden hierzulande überleben.
So kündigte die zum Toyota-Konzern gehörende, auf Klein- und Kompaktwagen spezialisierte Marke Daihatsu 2011 an, den Vertrieb ihrer Fahrzeuge in Europa Ende Januar 2013 einzustellen. Mazda baut in der Europa-Zentrale in Leverkusen ein Drittel der Stellen ab. Mitsubishi hat sein Werk im niederländischen Born für den symbolischen Preis von 1 Euro verkauft. Über den Weggang von Subaru und Honda wird immer mal wieder spekuliert.
Hat die Massenflucht der Japaner begonnen? "Es gibt nicht mehr die eine Gruppe von Japanern", sagt Yasuda. Zwischen den Konzernen gebe es heute große Unterschiede. Nissan sei durch die Kooperation mit Renault extrem international - und damit ganz anders als Subaru oder Mazda, die ohne Fertigung in Europa auskommen.
Toyota stehe irgendwo dazwischen, der Konzern sei dabei, die Zusammenarbeit mit BMW zu vertiefen und sich Europa zu öffnen.
Womöglich kommt dieser Vorstoß zu spät. "Toyota hat in der Vergangenheit einige modellpolitische Fehler gemacht", sagt Autoexperte Christoph Stürmer von IHS Automotive. "Die Europäisierung kam zu spät." Lange Zeit verzichteten die Japaner auf Kombimodelle, setzten auf grüne Instrumentenbeleuchtung, die nur die Amerikaner lieben, und vernachlässigten die Diesel-Antriebstechnik. In Europa fährt aber etwa die Hälfte aller Autos mit diesem Kraftstoff. Honda baute 2003 den ersten eigenen Diesel, Subaru sogar erst vor vier Jahren, während die neuen Wettbewerber aus Korea mit Hyundai schon 2001 einen selbst entwickelten Diesel auf den Markt brachten.
Es war zudem ein Fehler, sich aus der stabilen Nische ins Massensegment zu bewegen. Mit Modellen wie dem Avensis forderte Toyota den VW Passat heraus, mit dem Auris versuchten sich die Japaner gegen den VW Golf zu positionieren. Ohne merkbaren Erfolg.
Katalysator des Abstiegs war dann das PR-Desaster in den USA: Der tödliche Unfall eines Polizisten im Sommer 2009 wegen einer verrutschten Fußmatte führte zur größten Rückrufaktion in der Geschichte des Unternehmens. Am Ende stellten sich die Brems- und Gaspedalprobleme als Fahrfehler der Toyota-Kunden heraus.Nach immer neuen Rückschlägen ist der Konzern, der noch in den 90er-Jahren die Welt zu überrollen schien, bescheiden geworden. Damals wollten die Japaner 2012 allein in Deutschland rund 200.000 Fahrzeuge absetzen. Heute peilt der Deutschland-Chef Yasuda gerade 100.000 verkaufte Autos im Jahr 2015 an. Und diese Zahl will er als Kampfansage verstanden wissen.
Gerade die Zusammenarbeit mit BMW ist ein nicht ausgesprochenes Eingeständnis, dass man Europa nicht mehr für ganz so wichtig hält. Hatte Toyota in seiner Sturm- und Drangphase versucht, mit eigens entwickelten Selbstzündern die Vorliebe der Europäer für Dieselmotoren zu bedienen, ist dieser Ehrgeiz nun erloschen. Toyota bezieht künftig Dieselmotoren von BMW.Der Rückzug der Japaner ist damit auch die Geschichte vom Bedeutungsverlust des europäischen Automarkts, der seine Wachstumsgrenze erreicht hat. Statt sich hier mit der starken deutschen Konkurrenz abzukämpfen, suchen die Japaner dort ihr Glück, wo es noch was zu holen gibt - vor allem in den Asien-Pazifik-Staaten. So kündigte Honda an, künftig mit dem malaysischen Autobauer Proton Plattformen teilen zu wollen.
Heute erlebt Europa ein eher ungewohntes Comeback - nicht als Markt, sondern als Produktionsstätte für die Japaner. Das Toyota-Werk in Frankreich, wo der Kleinwagen Yaris vom Band läuft, soll künftig auch die Märkte USA, Kanada und Puerto Rico versorgen.
Dennoch ist die Angst vor der japanischen Konkurrenz nicht bei allen Europäern verschwunden. Vor allem das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und Japan sorgt für Unruhe. Das Abkommen dürfe "nicht zu einem weiteren Niedergang der Autoindustrie in Europa führen", warnte neulich der Chef der belgischen Sozialisten im EU-Parlament, Marc Tarabella.
Financial Times Deutschland