MITSUBISHI LEGENDS
JUTTA KLEINSCHMIDT
Das letzte Abenteuer: 10 000 Kilometer quälen sich die Piloten durch die Wüste. Der Sand ist so fein, dass er in die Lungen kriecht. Noch nie war bei der Rallye ParisDakar eine Frau als Erste ins Ziel gefahren, als 2001 Jutta Kleinschmidt siegte.....
Verdammt, man hätte sie sehen müssen. Schlesser, wie er ins Lenkrad beißt vor Zorn. Und Masuoka, den Japaner. Ob er geschrien hat? Oder nur stumm verzweifelt war? Staub haben sie gefressen. Sand. Juttas Sand. Jutta brauste durchs Ziel, Schlesser und Masuoka hinterher. Waren weg vom Fenster. Jutta war da. Einfach da.
2001 war das. Jutta, das Wunder, erste Frau, die die Rallye Paris-Dakar gewinnt. Die Welt hat gestaunt. Und das ist es wahrscheinlich, was Jutta Kleinschmidt am meisten hasst. Das Staunen. Jutta Kleinschmidt: geboren 1962 in Köln, aufgewachsen in Berchtesgaden, Oberbayern, ländlich raue Gegend, technische Knabenrealschule, mit Sondergenehmigung einziges Mädchen (!), technisches Fachabitur, einzige Frau (!), Studium, Physik (!), Rallyefahrerin (!!). Eine von vier Schwestern, Mutter alleinerziehend, Frauenhaushalt, kein Mann im Haus. Aha !!!....
Ja, sie habe mehr mit den Jungs gespielt als mit den Mädchen, das sei schon so, aber nie weils Jungs waren, nein, nur wegen der Interessen. Bewegung, Abenteuer, in verfallene Häuser klettern, wo die Marder lauern. Im Wald stöbern, wo man Baumhäuser bauen kann, ganz oben.
Jutta, das Kind, ist top in allem, was schnell ist. Fährt Ski. Dann Skibob, Weltmeisterschaftsdritte. Hört auf. Sobald sie oben ist, hoher Level, langweilt es sie, und sie wechselt. "Ich habe mich vielleicht ein bisschen mehr getraut als andere, auch auf die Gefahr hin, dass man mal hinfällt."
Mut? Sie zögert, Mut, männliche Tugend. "Ja, wahrscheinlich, wenn man das Mut nennen will", sagt sie leiser. "Aber vor allem wollte ich immer etwas Neues erleben. Deswegen bin ich auch zum Motorsport gekommen." Sie hört schließlich von der Rallye Paris-Dakar. "Das letzte Abenteuer für die letzten harten Männer auf diesem von der Verweichlichung bedrohten Planeten", nannte es mal einer.
Jutta ist kein Mann. Jutta sagt trocken: "Ich wollte einfach die Rallye begleiten. Als Urlauber." Man fragt besser nicht, was ihre Mutter wohl dazu gesagt hat.
Ein Motorrad in der Wüste ist wie ein wildes Tier. Es bockt wie ein Stier, wenn man über harte Buckel reitet. Es schlägt aus wie ein Pferd, wenn im weichen Sand das Hinterrad nach vorn durchbricht. Es wirbelt durch die Luft wie ein Panter, wenn man zu schnell über eine Sanddüne rast. Rund 10 000 Kilometer ist eine "Dakar" lang, meist von Europa bis nach Dakar im Senegal. An die 20 Tage Fahrt, an manchen sitzt man 14 Stunden im Sattel. Halluzinationen. Sogar Banditen am Wegrand manchmal oder bewaffnete Rebellen. Die Duschen: Wassereimer. An den Landesgrenzen Minenfelder, Reste irgendwelcher Bürgerkriege.
1987, mit 24, jagt sie das erste Mal als Urlauberin auf der Dakar nebenher durch Staub und Sand.
Sie versucht es noch im selben Jahr: Pharaonen-Rallye in Ägypten. Motorschaden. 1988 dann: Paris-Dakar. Und danach immer wieder, immer besser. 1992 gewinnt sie, die letzten fünf Tage mit gebrochenem Fuß fahrend, die Damenwertung der Paris-Kapstadt.
"Ich hasse Damenwertungen im Motorsport", sagt Kleinschmidt.
Schließlich, 1992, kündigt Jutta, nach dem Studium Ingenieurin bei BMW in der Crash-Abteilung, ihren Job.
...Jutta rast weiter. Sucht kleine Sponsoren, gibt Fahrkurse, jobbt in Kneipen, auf dem Bau. Siegt weiter in der Damenwertung. 1992, Paris-Kapstadt. 1993 auf der Pharaonen-Rallye wird sie gar Vierte in der Gesamtwertung. Dann steigt sie um. Vom Motorrad aufs Auto: vier Räder und ein schützendes Dach.
Bis zu zehn Stunden ohne Unterbrechung pro Tag sitzt Jutta auf einer Dakar im Auto. Sand, überall, auch im Wagen, so fein, dass er nicht nur im Hals kratzt, sondern bis in die Lunge kriecht. Tags ist es so heiß, dass der Schweiß unter dem feuerfesten Anzug in Strömen läuft, 50 Grad fiebern im Auto. Nachts zieht sie den Reißverschluss des Schlafsacks im Einmannzelt zu bis zum Anschlag, nicht nur wegen der eisigen Kälte, auch wegen der Skorpione.
Einmal müssen sie das Getriebe ausbauen, zu zweit, der Servicewagen kommt nach zehn Stunden. Sie rast dann 1400 Kilometer am Stück durch, um den Rückstand aufzuholen. Den Kopf ihres übermüdeten Co-Piloten bindet sie in aufrechter Position fest, damit er sich auf dem wilden Ritt nicht das Genick bricht.
Jutta, zäh und stark, wird 1995, erstmals im Auto bei der Dakar, Zwölfte der Gesamtwertung. Die Männer klopfen ihr auf die Schulter. Toll, für eine Frau. Bei der Wüstenrallye "Desert-Challenge" im selben Jahr liegt sie an zweiter Stelle, das Ziel ist nah, Jutta bleibt im Sand stecken, schuftet sich allein frei, wird Dritte. Die Männer freuen sich, wenn Frauen mitfahren. Ist eine Abwechslung. 1996 rast Jutta Kleinschmidt bei der Paris-Dakar auf den "sensationellen fünften Platz", gewinnt im Jahr darauf als erste Frau eine Etappe. Die Männer freuen sich nicht, wenn sie von einer Frau überholt werden.
Es gibt da diese Geschichte von dem Italiener, der, von Jutta abgehängt und stark verstört, in der Nacht nach der Schmach mindestens fünfmal zu Jutta stürmte und schimpfte, sie habe eine Abkürzung genommen oder die Zeitmesser hätten versagt, wenigstens das. Warum können es Männer nicht fassen, wenn sie gegen Frauen verlieren?
"Weiß ich nicht. Das müssten Sie die Männer fragen." Also, Hosen runter. Seine "Männlichkeit" habe man ihm "abgeschnitten", so hat Jutta Kleinschmidt das Verhalten von Jean-Louis Schlesser erklärt, nach ihrem Triumph von 2001.
Schlesser, Juttas Ex-Freund, wird "Le Patron" genannt, er pflegt über der Welt größtes Abenteuer zu sagen: "Das ist meine Dakar". Le Patron, Wüstenfuchs, aufgewachsen in Marokko, bulliger Typ, hat schon als Formel-1-Testfahrer Ayrton Senna von der Bahn geschossen. Le Patron zieht auch gern an langen Zigarren. Jutta Kleinschmidt darf ihn 1992 als Co-Pilotin im "Schlesserbuggy" begleiten, gebaut von Schlessers eigenem Team, 15 Angestellte. Die beiden werden ein Liebespaar, ziehen in Monaco zusammen.
Jutta wird immer schneller. Schlesser wird Rallyeweltmeister in der Spezial-Wertung. Nur die Dakar gewinnt er nicht, versucht es seit fünf Jahren, scheitert auch 96 und 97. Dafür gewinnt Kleinschmidt ihre erste Etappe. Da spendiert der Patron im Fahrerlager noch eine Runde zu Ehren seiner schnellen Muse. Doch als die sich gar in der Weltcupwertung vorübergehend am Chef vorbei schiebt, legt der ihr nahe, doch schonender mit dem Material umzugehen.
1998 wechselt sie zu Schlessers überlegener Konkurrenz Mitsubishi. Sie wird es bereuen, unkt Le Patron. Und beendet deswegen Liebes- wie Arbeitsverhältnis. Auch bei Mitsubishi wird es nicht leicht für sie als weibliche Pilotin, die nicht direkt fürs japanische Werk fährt. Regel eins: Werkspiloten bekommen das bessere Material. Regel zwei: Piloten mit Siegeschancen auch. Regel drei: Frauen gewinnen nicht. Trotzdem schafft Jutta Kleinschmidt es 1999 als erste Frau auf das Treppchen, dritter Platz der Dakar, wird im Jahr darauf Fünfte.
2001, Jahr des Zweikampfs der Männer Hiroshi Masuoka, Mitsubishis Stallhengst, gegen Jean-Louis Schlesser, nun schon zweimal in Folge Sieger. Masuoka führt, Schlesser folgt, holt auf, fällt zurück. Kleinschmidt, die Frau im drei Jahre alten Mitsubishi, hinterher. Schlesser schwärzt beide wegen angeblich genommener Abkürzung an. Er ist auch in der Rallyekommission mächtig. Strafminuten. Schlesser ist wieder knapp an Masuoka dran. Jutta weiter zurück. Am vorletzten Tag: Le Patron, gierig nach Ehre und Sieg, startet unerlaubt vor Masuoka, lässt ihn von seinem Wasserträger José-Maria Servia blockieren, auf dass der Chef unbehindert den Gesamtsieg herausfahre. Masuoka, irrsinnig vor Zorn, versucht, abseits der Piste zu überholen, zerstört seine hintere Radaufhängung. Jutta fährt souverän.
Schlesser, Sieges-Zigarren im Gepäck, braust ins Ziel. Mit hohem Vorsprung vor der letzten kurzen Etappe. Auch Kleinschmidt zieht an Masuoka vorbei. Mit ein paar Strafminuten für den Frühstart rechnet Le Patron und mit dem dritten Gesamtsieg in Folge. Ein Lehrstück kalkulierten Durchsetzungsvermögens. Glaubt er, und meint sich selbst. Später hieß es dann, man habe Schlesser im Rennzentrum noch zwei Gänge weiter brüllen hören, als er erfuhr, dass er für das Unsportlichste, was die Dakar je gesehen hatte, 60 Minuten Strafe bekam. Und so startete Jutta Kleinschmidt, des Patrons Ex, als Führende in die letzte Etappe. Der Rest ist Sand im Männergesicht. Und Rallyegeschichte.
Kleinschmidt hat den Sieg nicht verdient", sagte Schlesser bald, "es steht ihr überhaupt nicht zu, auf dem Podium zu stehen." Sagte ihr fürs nächste Jahr den Kampf an. Klagte sie immer wieder bei der Rennleitung an. Vergebens. 2002 fuhr Jutta auf den zweiten Rang. Schlesser schaffte es seit der Niederlage nie wieder ins Ziel der Dakar. Schlesser, Le Patron, der seine Freundin Jutta vor die Tür setzte, als sie in ein besseres Auto stieg.