Unser Problem mit dicken Menschen

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  • „Niemand mag dicke Menschen!“

    Groß, schlank und normschön: Wer diese Kriterien in einer migrantischen Familie nicht erfüllt, hört oft dumme Sprüche. Woran liegt das? Und wie geht es Betroffenen damit?


    Trigger-Warnung: In diesem Text geht es um Essstörungen. Wenn du selbst betroffen bist, kannst du dir bei Beratungsstellen für Betroffene mit Essstörung in deiner Stadt Hilfe suchen. Mögliche Anlaufstellen sind beispielsweise die Caritas, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung oder auch dein Hausarzt.


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    „Du hast schon wieder so zugenommen.“ Mit diesen Worten „begrüßte“ mich meine Mutter, als sie vergangenen Sommer nach ihrem viermonatigen Heimaturlaub in Kroatien durch die Haustür kam. Sie legte ihre Reisetasche ab und begann, meinen Körper zu mustern. Nette Begrüßung. Danke, Mama. Ein „Hallo, wie geht’s?“ hätte es auch getan. Ich solle doch aufpassen, dass es nicht „noch mehr“ wird, und sie würde nicht verstehen, wie das passieren konnte, sagte sie stattdessen. Mittlerweile kann ich solche Bemerkungen sehr gut ignorieren, doch lange waren diese Momente nicht so leicht wegzustecken. Ich wollte einige Tage nach ihrer Ankunft aus Prinzip nicht viel essen, das sorgte dann aber wiederum für Unverständnis ihrerseits. Ich müsse nicht komplett auf das Essen verzichten, aber eben etwas besser darauf schauen. Doch ich konnte nicht anders. Zu der Zeit war das Verhältnis zu meinem Körper eher kompliziert. Und genau deswegen lösten ihre Worte in mir damals eine noch größere Abneigung und ein gewisses Schamgefühl dem Essen gegenüber aus.


    Ich war noch nie eine der super Schlanken und genau das durfte ich mir auch oft genug von Familienmitgliedern anhören. Spitznamen wie „Dickerchen“ waren in meiner Teenager-Zeit gang und gäbe. In meiner Verzweiflung griff ich immer wieder zu ungesunden Methoden, um abzunehmen. Von Fettblockerpillen und Nahrungsergänzungsmitteln bis hin zu einer täglichen Fitnessstudiotortur und so gut wie nichts zu essen, habe ich alles versucht, um Bestätigung zu bekommen und mich in meinem Körper wohlzufühlen. Geholfen hat das allerdings alles nicht, vielmehr war es frustrierend und zog mich nur noch mehr runter. Ich kann von Glück sprechen, dass ich nicht in eine tiefere Essstörung geschlittert bin. Ich beschäftigte mich in der Zeit viel mit „Body Positivity“ und realisierte, dass es für Schönheit kein Einmaleins gibt. Ich weiß mittlerweile auch, dass meine Familie und vor allem meine Mutter es nicht böse meinen, und ich schätze es, dass sie sich um meine Gesundheit kümmern. Verletzend ist es dennoch, und ich glaube, dass ihnen das leider nicht bewusst ist.


    Damit bin ich nicht allein. Bodyshaming steht bei vielen Jugendlichen in Österreich auf der Tagesordnung. Im „Jugend Trend Monitor“ aus dem Jahr 2019 gaben 30 Prozent der Befragten 14- bis 29-Jährigen an, bereits Erfahrungen mit Bodyshaming gesammelt zu haben. Ein aktueller Tiktok-Trend greift das Thema Bodyshaming durch die eigene Familie in migrantischen Communities auf. Tiktoker:innen stellen sich vor die Linse, unter ihnen steht der Text „Wenn deine Familie aus der Heimat dich besucht.“ Dazu hört man in der Tonspur den Sound einer Frau, die sie mit den Worten „Oh my god you are so fat, so obese!“ zu beleidigen beginnt.

    Der Druck in ausländischen Familien kann noch stärker sein, da es dort mehrere Angriffsflächen gibt

    „Der Westen dominiert die Welt“, erklärt Bodyshaming-Expertin und Autorin des Body-Positivity-Buchs „Riot, don’t diet!“ Elisabeth Lechner, „deshalb nehmen wir ein weißes, koloniales Schönheitsideal als Maßstab. Menschen sollen groß, schlank und unbehaart sein.“ Doch zu diesem westlichen Schönheitsbild kommen laut Lechner für Menschen mit Migrationshintergrund auch kulturelle Bedingungen sowie bestimmte Esskulturen und auch religiöse Einstellungen hinzu. So kann der Druck in ausländischen Familien noch stärker sein, da es dort mehrere Angriffsflächen gibt.


    Bei der 23-jährigen Polin Ewa spielt Bodyshaming durch ihre Familie seit ihrer Pubertät eine große Rolle. Ab ihrem 13. Lebensjahr, als ihr Körper sich zu verändern und zu wachsen begann, kamen immer wieder Bemerkungen. Ewa erinnert sich an einen bestimmten Moment, der sie nicht loslässt. Sie saß als 13-jähriges Mädchen mit einer kurzen Hose auf dem Sofa in ihrem Wohnzimmer, als ihr Vater auf sie zukam und komplett schockiert und verängstigt fragte, ob sie etwa Cellulite hätte. Auch ihre Mutter verhielt sich anstrengend, da sie Ewas Körper immer genau unter die Lupe nahm. „Bist du schwanger?“ war die Top-Frage, sobald Ewa etwas an Gewicht zugenommen hatte und ihr Bauch größer geworden war. Solche Kommentare sind für sie heute nichts Besonderes mehr, denn die bekommt sie nach wie vor täglich serviert. „Schlank bedeutet nicht gleich gesund, sowie dick nicht automatisch krank“, so die Expertin Elisabeth Lechner. Und vor allem in der Pubertät verändere sich der Körper nun mal.

    „In Polen ist das Schönheitsideal für Frauen noch viel ärger“

    Ewas Schwester, die immer sehr dünn war, hat sich den Umgang, den die Eltern mit Ewa pflegten, abgeschaut, und begann, sie ebenfalls mit Beleidigungen zu ihrem Gewicht zu bombardieren. Die 23-Jährige erzählt, dass sie mit 13 Jahren eine Essstörung entwickelte. Dies ist nicht verwunderlich, denn laut Autorin Elisabeth Lechner brauchen vor allem Jugendliche viel Bestätigung: „Wenn Heranwachsende in den eigenen vier Wänden keinen ‚safe-space‘ haben, dann bewirkt das eine gestörte Selbstwahrnehmung und kann in Extremfällen zu Essstörungen führen.“ Monatelang aß Ewa dementsprechend so gut wie nichts. Bei Hungergefühl ernährte sie sich von Kaugummi und Cola light. Das alles nur, um ein bestimmtes Gewicht zu halten. „Ich weiß noch, dass meine Mama damals gesagt hat, dass ich endlich eine gute Figur hätte und die so weiter behalten sollte“, sagt Ewa und rollt mit den Augen.

    Dass sie zu der Zeit an einer Essstörung litt, bemerkte ihre Mutter nicht. Auch Ewa weiß, dass das Problem nicht allein die Wahrnehmung ihrer Mutter ist: „In Polen ist das Schönheitsideal für Frauen noch viel ärger.“ Die Erwartungen, dem normschönen Ideal zu entsprechen, seien dort noch härter. Ihre Eltern sind mit Wertvorstellungen und Body-Images aufgewachsen, die ins Unrealistische gehen. Aus diesem Grund sieht Ewa keinen Sinn darin, mit ihnen über die verletzenden Worte zu reden, da sie es ja eigentlich nicht böse meinen, sondern es einfach selbst so gelernt hatten. Mittlerweile kann sie damit recht gut umgehen und hat dadurch auch einiges für ihre Zukunft gelernt: „Ich weiß, wie ich mich gegenüber meinen zukünftigen Kindern verhalten werde.“ Sie ist sich sicher, dass sie ihre eigenen Kinder niemals auf ihr Äußeres reduzieren und mit blöden Sprüchen zu ihrem Gewicht konfrontieren wird.


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    Wie es ist, wenn auch Geschwister zu Bodyshamern werden, weiß Ayman. Er lebte bis vor sieben Jahren noch in Syrien und erzählt davon, wie seine Eltern immer hart arbeiten mussten, um Geld nach Hause zu bringen, und dementsprechend nicht oft zu Hause waren. Ihm und seinen Geschwistern fehlte die Disziplin und das Moralverständnis, andere Menschen zu respektieren, auch wenn sie vielleicht anders aussahen, erzählt Ayman. Seine Eltern haben ihnen nie beigebracht, sich nicht über andere lustig zu machen. „Manchmal haben sie was gesagt, aber sie waren, wie gesagt, beschäftigt.“ Der 27-Jährige erzählt, dass sein Bruder ihn immer wieder wegen seinen Ohren gehänselt hatte: „Ich hatte halt große Ohren im Vergleich zu meinem Kopf.“ Sein Bruder dachte sich den Spitznamen „Segelohr“ aus und rief Ayman nur noch unter dem Namen. So suchte Ayman nach Merkmalen, die er gegen seine Geschwister verwenden könnte. „Als Rache habe ich ihn halt für sein Gewicht beleidigt.“ Obwohl er selbst auch mit dem Mobben begann, sei die Zeit schwer für ihn gewesen. Er weinte viel. Aber trotzdem ist er der Meinung, dass ihn genau das zu einem starken Mann gemacht hat. Im Nachhinein sei das gut gewesen, weil er dadurch gelernt habe, sich nicht von blöden Sprüchen von Fremden runterziehen zu lassen. Ayman meint auch, dass ihn diese Abhärtung gut auf Österreich vorbereitet habe. Er erlebte relativ viel Rassismus hier und hätte dies ohne diese „Vorbereitung“ so nicht ertragen.

    „Sie machte die Höhe meines Taschengeldes abhängig von meinem Gewicht“

    In Jelenas Familie herrscht schon von Anfang an ein bestimmter Standard für das äußere Erscheinungsbild. Eine sportliche und dünne Figur war die Mindestanforderung ihrer Eltern. Für die 21-jährige Wienerin mit Wurzeln in Serbien eine unrealistische Vorstellung: „Seit meiner Kindheit habe ich mit einer Schilddrüsenunterfunktion zu kämpfen.“ Durch ihre Erkrankung fällt ihr das Abnehmen schwerer als anderen. Ihre Mutter sah das aber nur als schlechte Ausrede. In den Augen ihrer Mutter schaffen dicke Menschen es nicht weit im Leben, weil sie angeblich niemand mag. Und auch Arbeitgeber würden sie nicht einstellen wollen, denn ihre Figur würde zeigen, dass sie nicht diszipliniert wären. Das wurde Jelena zumindest von klein auf so beigebracht. Die Wienerin erzählt davon, wie sie sich immer bemühte, Süßigkeiten wegzulassen und viel Sport zu treiben, das Abnehmen gelang ihr allerdings trotzdem nicht.


    Für sie standen, seitens ihrer Mutter, Radikaldiäten und abfällige Kommentare zu ihrem Körper auf der Tagesordnung. Gegessen werden sollte möglichst wenig. Dadurch nahm sie ab, jedoch ließ der Jo-Jo-Effekt nicht lange auf sich warten und sie nahm mehr zu als davor. Laut Bodyshaming-Expertin Elisabeth Lechner ist das eine normale Reaktion des Körpers, da durch Diäten der Stoffwechsel zerstört wird. „Sie machte die Höhe meines Taschengeldes abhängig von meinem Gewicht“, sagt Jelena und kann noch immer nicht ganz glauben. Finanzielle Unterstützung war damals, wie auch heute noch während ihres Studiums, das Druckmittel ihrer Mutter. All dies führte bei der jungen Wienerin zu vielen Tränen und einer Essstörung, da sie den Erwartungen auf natürlichem Wege nie gerecht wurde. Konfrontationen mit ihrer Mutter blieben erfolglos. „Ich will nur das Beste für dich!“, war eins der Argumente. Jelena zieht heute das Positive daraus: „Dennoch liebe ich meine Mutter. Denn ohne ihren ständigen Druck würde ich wahrscheinlich noch mehr wiegen.“


    Unsere Eltern sind selbst mit unrealistischen Schönheitsstandards aufgewachsen und haben vermutlich selbst mit Shaming zu kämpfen gehabt, ohne zu wissen, was es überhaupt bedeutet. Sie waren oft damit beschäftigt, sich und uns in der „neuen“ Heimat ein würdiges Leben aufzubauen. Da war nicht viel Platz für Themen wie Body Positivity. Wir leben aber in einer Zeit, in der es immer mehr Bewusstsein für Bodyshaming gibt, und wir lernen, wie wichtig die Akzeptanz aller Körper ist. Nun haben wir die Möglichkeit, es anders als unsere Eltern zu machen und keine Traumata an die nächste Generation weiterzugeben – jetzt sind wir dran.



    https://www.jetzt.de/das-biber…ocket-newtab-global-de-DE

  • Body Positivity: Den Körper lieben, wie er ist

    Die Bewegung »Body Positivity« protestiert gegen gängige Schönheitsideale und ruft dazu auf, sich mit dem eigenen Körper und seinen vermeintlichen Makeln wohl zu fühlen. Kritiker fürchten jedoch, Promis mit Kleidergröße XXL könnten schlechte Vorbilder abgeben. Zu Recht?

    Zu dick, zu klein, zu große Nase: Wer beim Blick in den Spiegel schlechte Laune bekommt, der ist damit nicht allein. In einer Umfrage unter 1000 Deutschen gab 2018 jeder Dritte an, mit dem eigenen Aussehen unzufrieden zu sein. Für viele beginnt das Hadern schon in der Grundschule. Laut einer großen deutschen Jugendstudie finden sich mehr als 40 Prozent der Mädchen und 30 Prozent der Jungen zu dick.


    Dass viele von uns mit ihrem Körper auf Kriegsfuß stehen, ist die logische Folge einer Kultur von Dauerdiäten, Fitness-Wahn und Social-Media-Feeds, die uns ständig makellose Schönheit vorführen. Wir vergleichen uns mit Models, die nicht einmal selbst so aussehen wie auf ihren Fotos. Der Kontrast zu einem durchschnittlichen Körper war selten größer. So entsteht bei vielen der Eindruck, nicht schön genug zu sein. Das macht unglücklich – nur wie lässt sich das ändern?


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    Schon Ende der 1960er Jahre hatten einige US-Amerikanerinnen und -Amerikaner das Hungern satt. Beeinflusst vom Feminismus und der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung forderten sie ein Ende des Fat-Shaming, also der Diskriminierung von dicken Menschen, und gründeten die National Association to Advance Fat Acceptance. Damit legten sie den Grundstein für die Body-Positivity-Bewegung: Sie setzt sich dafür ein, alle Arten von Körper zu akzeptieren – unabhängig davon, ob sie den üblichen Schönheitskriterien entsprechen. Dabei geht es nicht mehr nur um das Gewicht, sondern auch um andere vermeintliche Makel wie Falten, Narben, eine Glatze oder starke Körperbehaarung.

    Mittlerweile ist Body Positivity zumindest in ein paar Ecken des Mainstreams vorgedrungen: Firmen wie Dove und Calvin Klein werben mit Vielfalt, auch was den Körperbau ihrer Models betrifft, und in der Werbung werden nicht mehr bloß Beine gezeigt, die bereits glatt rasiert sind. Unter dem Hashtag #bodypositivity finden sich auf Instagram mehr als zehn Millionen Fotos, auf denen sich Menschen mit einem Körper abseits der Norm zeigen.

    Forscherinnen und Forscher widmen sich ebenfalls dem Bereich. War die Beziehung zum eigenen Körper lange nur Thema, wenn sie, wie etwa bei der Magersucht, krankhaft geworden ist, interessieren sie sich nun auch allgemein für das, was Psychologen unter dem »Körperbild« verstehen (im Englischen: body image). Es gilt als wichtige Säule unseres Selbstwertgefühls.


    »Wer unzufrieden mit seinem Körper ist, leidet eher unter Stress, Ängsten und Depressionen«
    (Phillippa Diedrichs, Psychologin)


    »Das Körperbild ist unmittelbar mit unserem psychischen Wohlbefinden verbunden«, sagt Phillippa Diedrichs im »Science Focus Podcast« der BBC. Sie ist Psychologieprofessorin an der University of the West of England in Bristol und leitet das Centre for Appearance Research. »Wer unzufrieden mit seinem Körper ist, leidet eher unter Stress, Ängsten und Depressionen. Wir wissen, dass Menschen mit einem positiven Körperbild stressresistenter sind und mehr positive Emotionen erleben.«

    Zu unserem Körperbild gehört, wie unser Körper für uns aussieht, wie es sich anfühlt, in ihm zu leben, und wie wir ihn bewerten, zum Beispiel als schön oder hässlich. Das Bild, das wir uns vom eigenen Körper machen, entspricht dabei nicht immer der Realität. So schätzen sich die meisten Menschen, darunter vor allem Frauen, fülliger ein, als sie in Wahrheit sind. Das Bild vom eigenen Körper kann sogar krankhaft verzerrt sein. Das ist zum Beispiel bei magersüchtigen Menschen der Fall, die sich oft trotz Untergewicht als dick empfinden. Sich als extrem hässlich wahrzunehmen, ist eine eigene psychiatrische Diagnose: Menschen mit der so genannten körperdysmorphen Störung halten ihr Äußeres – häufig ihr Gesicht – für entstellt.

    Was steckt hinter dem verzerrten Körperbild? Der Grundstein dafür, ob wir unser Äußeres mögen, wird oft schon in der Kindheit gelegt, und in der Pubertät verfestigt sich das Bild. Dabei spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, darunter die Schönheitsideale, die in einer Gesellschaft vorherrschen. Wurden üppige Körper im Barock noch gefeiert, gilt heute in der westlichen Welt das Dünnsein als Nonplusultra. In den vergangenen Jahren lagen vermehrt schlanke Körper mit großem Po à la Kim Kardashian im Trend.

    »Soziale Medien haben gerade auf junge Menschen einen großen Einfluss«, sagt der Kinder- und Jugendpsychiater Florian Hammerle von der Universität Mainz. Er behandelt unter anderem Jugendliche mit Essstörungen und erforscht ihr Körperbild. »Entscheidend ist, wie sehr sie das gerade aktuelle Schönheitsideal internalisiert haben und einen bestimmten Körper zum Beispiel mit Glücklichsein oder Beliebtheit verknüpfen.« Besonders anfällig für entsprechende Bilder auf Instagram und Co seien Teenager, denen es allgemein nicht gut geht und die kein stabiles soziales Netz haben. Schützend sei hingegen, wenn sich der Selbstwert auch noch aus anderen Quellen als dem Äußeren speist, zum Beispiel aus guten Noten, einem sportlichen Talent oder sozialem Engagement.

    Doch nicht nur die Medien prägen unser Körperbild. Auch die Art, wie frühe Bezugspersonen mit ihrem Körper umgehen, hat einen Einfluss. Kneifen Mama und Papa sich ständig vor dem Spiegel kritisch in den Bauchspeck, kann das als schlechtes Vorbild dienen. Wichtig sind auch die Kommentare von Gleichaltrigen. Wer zum Beispiel schon als Kind für seine Segelohren gehänselt wurde, läuft eher Gefahr, mit seinem Äußeren zu hadern, als jemand, der häufig Komplimente bekommt. Auch die Persönlichkeit spielt eine Rolle: Wer perfektionistisch ist, sich stark mit anderen vergleicht, einen geringen Selbstwert hat oder dazu neigt, sich durch die Augen anderer zu betrachten, hat eher ein negatives Bild vom eigenen Körper.

    Wie sich ein negatives Körperbild auswirkt

    »Wenn Menschen unzufrieden mit ihrem Körper sind, kann das negative Konsequenzen für ihre Gesundheit haben. Sie haben eher ein gestörtes Essverhalten und treiben öfter extrem viel oder sehr wenig Sport«, berichtet Phillippa Diedrichs der BBC. »Insbesondere bei jugendlichen kann ein negatives Körperbild mit Drogenmissbrauch assoziiert sein.«

    Auch das Liebesleben kann darunter leiden. Wer wegen seines Aussehens unsicher ist, hat mehr Angst, sich auf ein Date einzulassen, wie 2021 eine britische Studie zeigte. Umgekehrt trauen sich Menschen, die zufrieden mit ihrem Äußeren sind, mehr zu, und sie leben gesünder. Aber kann Body Positivity tatsächlich ein gesundes Körperbild fördern?


    Die Psychologin Rachel Cohen von der University of Technology in Sydney und ihr Team wollten 2019 wissen, welche Wirkung entsprechende Bilder und Botschaften auf junge Frauen haben. Dafür legten sie 200 Erwachsenen zwischen 18 und 30 Jahren je 20 Instagram-Posts vor. Eine Gruppe bekam dabei nur Fotos von schlanken und durchtrainierten Models gezeigt, zum Beispiel Kendall Jenner oder Gigi Hadid. Die andere Gruppe betrachtete stattdessen Posts aus der Community der Body Positivity, in denen Frauen, die nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprechen, ihren Körper stolz präsentieren. Darunter waren zum Beispiel Bilder der Influencerin Megan Jayne Crabbe, die ihre Rundungen zeigt, um anderen Mut zu machen. Eine dritte Gruppe bekam gar keine Bilder von Körpern vorgelegt, sondern von Landschaften und Tieren. Alle Teilnehmerinnen füllten vorher und nachher eine Reihe von Fragebogen aus.

    Das Ergebnis: Die Body-Positivity-Posts und die Naturbilder besserten die Laune der Frauen, die Model-Fotos hingegen schlugen ihnen auf die Stimmung. Wer Posts von Megan Jayne Crabbe und Co. betrachtet hatte, war außerdem zufriedener mit dem eigenen Körper und wusste ihn mehr zu schätzen – ganz im Gegenteil zu jenen Frauen, die sich Bilder von schlanken Models angesehen hatten.


    Wie groß der Einfluss der Medien ist, zeigt auch eine Studie des Mainzer Psychotherapeuten Florian Hammerle und seiner Kollegen. Sie verglichen das Körperbild von mehr als 1000 jungen Menschen aus Deutschland und Kolumbien. Während in Westeuropa schlank als schön gilt, dürfen Latinas kurviger sein. Die Frauen, die in Kolumbien in TV-Serien und Werbespots auftreten, sind daher oft weniger dünn als hier zu Lande. Und das realistischere Schönheitsideal zeigte sich auch im Körperbild: Die kolumbianischen Befragten hatten im Schnitt ein positiveres Verhältnis zum eigenen Körper als die deutschen. Sie schämten sich zum Beispiel weniger, ihn im Freibad zu zeigen, wie der Vergleich ergab.

    Die Ergebnisse sind noch nicht publiziert, decken sich aber mit anderen Arbeiten zu Gefühlen von Scham und Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper. Um zu klären, ob die entspanntere Einstellung das Ergebnis des verbreiteten Schönheitsideals ist, braucht es noch mehr Forschung. Es könnte aber ein Faktor sein, meint Hammerle.

    Steht Body Positivity einem gesünderen Leben im Weg?

    Body Positivity findet in der Forschung viel Unterstützung. Doch es gibt auch kritische Stimmen: Sind die Bilder von übergewichtigen Models in der Werbung womöglich kontraproduktiv? Starkes Übergewicht gilt schließlich als ungesund. Wer damit unzufrieden ist, könnte eher gewillt sein, gesünder zu essen und sich mehr zu bewegen, so die Annahme. Schadet Body Positivity also der Gesundheit?

    Nein, sagt Claudia Luck-Sikorski, Professorin für Psychische Gesundheit und Psychotherapie an der SRH Hochschule für Gesundheit in Gera. Sie erforscht die sozialen und psychischen Folgen von Adipositas und sagt: Versuche, Menschen durch Fat-Shaming dazu zu bringen, weniger zu essen und mehr Sport zu treiben, seien gescheitert.


    »Für manche Menschen ist es auf Grund ihrer Gene viel schwerer, schlank zu bleiben. Auch nach erfolgreicher Adipositas-Behandlung sind die meisten Betroffenen immer noch dick«, sagt Claudia Luck-Sikorski. »Wer es schafft, seinen Körper zu akzeptieren, lebt letztlich gesünder als jemand, der ständig mit Abscheu auf sich blickt. Leider haben viele Betroffene die Vorurteile, die ihnen ständig entgegenschlagen, internalisiert.«

    Selbsthass ist kein guter Motivator für ein gesünderes Leben. Im Gegenteil: Die Stigmatisierung kann Stressessen fördern und die Lust auf Bewegung mindern. Das zeigten Rebecca Puhl und Young Suh vom Rudd Center for Food Policy and Obesity in Connecticut in einer Übersichtsarbeit. Ungefragte Diättipps, verächtliche Blicke und Ausgrenzung schlagen zudem nachweislich auf die Psyche, wie eine Auswertung von mehr als 100 Studien nahelegt. Wer viel Diskriminierung erfährt, leidet eher unter Depressionen, Ängsten und Essstörungen. Wer dagegen mit seiner Figur zufrieden ist, bleibt eher gesund.

    Wie Body Positivity gelingen kann

    Den eigenen Körper wohlwollend zu betrachten, zu akzeptieren, vielleicht sogar zu lieben: Das ist leichter gesagt als getan. Es gibt zwar eine Reihe von wirksamen Interventionen (siehe unten: »Tipps für mehr Selbstliebe«), wie eine Forschungsgruppe aus den Niederlanden, England und den USA feststellte. In ihrer Metaanalyse beobachtete sie einen Effekt auf Körperbild, Schönheitsideal und die Neigung, sich mit anderen Menschen zu vergleichen. Doch nicht alle Menschen profitieren davon.

    Bei manchen baut der Aufruf zu Body Positivity erst recht Druck auf. Deshalb geht ein Ansatz namens »Body Neutrality« einen Schritt weiter. Er lenkt den Fokus ganz weg vom äußeren Erscheinungsbild. Nach dem Motto: Mein Körper trägt mich durchs Leben – wie er dabei aussieht, ist zweitrangig.

    Ein gesundes Körperbild zu haben, heiße eben nicht, dass man sich immer rundum schön fühlen muss, erklärt Phillippa Diedrichs. »Es geht darum, Respekt für den eigenen Körper zu haben, ihn wertzuschätzen.« Wenn es mit der Liebe nicht klappen will, dann also wenigstens Frieden schließen.


    Tipps für mehr Selbstliebe

    • Auf die Gedanken achten
      Achte auf selbstabwertende Gedanken wie »Meine Beine sind hässlich« oder »Ich bin so fett geworden« und hinterfrage sie. Distanziere dich innerlich von ihnen, nach dem Motto: »Da ist sie wieder, die kritische Stimme in meinem Kopf.« Verzichte auf abschätzige Kommentare über dein Äußeres und behandle dich mehr wie eine gute Freundin.
    • Social-Media-Feeds gut auswählen
      Entfolge allen Accounts, die ein schlechtes Gefühl hinterlassen, und fülle deinen Social-Media-Feed mit Inhalten, die dich glücklich machen. Suche dir realistischere Vorbilder, die zum Beispiel eine ähnliche Figur haben wie du oder eine ebenso große Nase.
    • Stärken bewusst machen
      Der Wert eines Menschen liegt nicht darin, wie gut er aussieht. Überlege dir, welche Menschen du aus anderen Gründen bewunderst. Schreibe eine Liste von Dingen, die du an dir schätzt, die aber nichts mit dem Aussehen zu tun haben, etwa: »Ich bin klug und hilfsbereit.«
    • Den Körper für das schätzen, was er kann
      Dein Körper trägt dich durchs Leben. Überlege dir, wofür du deinem Körper dankbar bist: Deine Beine bringen dich von Ort zu Ort. Dein Bauch verdaut deine Nahrung und schenkt dir Energie. Mit deinen Händen kannst du deine Liebsten umarmen oder deinen Hund streicheln.
    • Gut zum eigenen Körper sein
      Behandle deinen Körper gut: Bewege ihn so, wie es sich für dich angenehm anfühlt. Das können Dehnübungen sein, ein Federballspiel mit Freunden oder ein langer Spaziergang in der Natur. Bewegung sollte dir guttun und keine Strafe für zu viele Kalorien sein.

    https://www.spektrum.de/news/b…ocket-newtab-global-de-DE

  • Grünen-Chefin Ricarda Lange scheint der lebendige Beweis zu sein das "body positivity" funktioniert.

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    Nasenhaare ausreißen ist der tägliche SM des kleinen Mannes

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