Die Hartz IV-Bahn

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  • Die Hartz IV-Bahn, das Non-plus-Ultra ?
    Ein nicht ganz ernst gemeinter Ansatz für eine Beschäftigungsprogramm


    Da sitzen wir nun zusammen, ein paar Tuningkumpel in unserer Stammkneipe. Reden über Verkehrsprobleme, den Kilmaschutz, den Lokführerstreik.Plötzlich schießt mir ein Bild durch den Kopf, eine Lösung vieler Probleme, die wir diskutieren: Die "Hartz IV Bahn" !


    Ihr alle kennt Bilder von alten Pferdebahnen in europäischen Großstädten zur Mitte des 19. Jahrhunderts: Straßenbahnähnliche Waggons, gezogen von Pferden. Vereinzelt auch schienenunabhängig. Eine kleine Renesaince feierten sie wieder nach dem letzten Weltkrieg.



    Könnte hier nicht ein Lösungsansatz all unserer Probleme liegen?
    Unser 3,6 Millionen Heer von Arbeitslosen, von der Allgemeinheit gefüttert, geschüttelt von Selbstzweifeln, Versagensängsten und geringem Selbstwertgefühl : Dieses Potential liegt brach !


    So könnte man doch den innerstädtischen Verkehr deutlich entlasten, setzte man statt der feinstaubig Co² lastigen Buslinien zumindest auf den Hauptsstrecken "Hartz 4 Bahnen" ein. Eben Pferdebahnen, nur nicht von Pferden, sondern von Arbeitslosen oder Hartz-4 Empfängern gezogene Bahnen.
    20- , 40-, oder 60- Spänner, das käme ja gar nicht so drauf an. Und die Leute hätten wieder was zu tun, würden etwas leisten für ihr Geld, eine Aufgabe und Verantwortung haben ! Und langsamer als ein Bus im heutigen Stadtverkehr wäre ein 60 Spänner auch nicht. Ein Arbeitsplatz der dem Trend der Teamfähigkeit und sozialen Bindungen zwischen Kollegen mehr als gerecht wird. Hier ergeben sich während des Arbeitsalltags Möglichkeiten, auf eine fröhliche Runde zu treffen, die (im Markentrainingsanzug, was sonst?) kenntnisreich über Unterhaltungselektronik und Pay-TV-Programme zu fachsimpeln und fleißig Tipps auszutauschen, wie man sich folgenlos jeglichen Arbeitsangeboten verweigert.
    Kein Lok- oder Busfahrer müßte mehr um 30 % Lohnerhöhung streiken. Wer nicht ziehen will, bekäme eben die Stütze gekürzt.
    Die Energiebilanz wäre umwerfend, nicht nur bei der Treibstoffersparnis. Man bedenke auch die in dieser Zeit abgeschalteten Fernseher, Heizungen oder Klimanalagen, welch gigantische Energiemengen dann fehlen in den Bilanzen!
    Co² Beastung, Feinstaub, alles kein Thema mehr, man könnte als arbeitender Mensch wieder mit seinem Altdiesel nach Herzenslust durch die Innenstädte geigen, ohne die Werte weiter zu verschlechtern !


    Nicht zu vergessen auch der Nutzen gerade für die arbeitende Bevölkerung: Wer arbeitet, bezahlt die Hartz IV Menschen ja eh schon. Der Fahrpreis für die arbeitende Klasse würde also entfallen, innerstädtischer Verkehr zum Nulltarif für Beitragszahler der Sozialkassen ! Und auch die öffentliche Hand würde sparen, man denke nur an den Wegfall der gigantischen Subventionen für Busse und Bahnen. Wieviele Kindertagesstätten , Schulen, oder auch neue Straßen könnte man dafür bauen ?!


    So viele Vorteile auf ein mal und nur wenige Nachteile !


    Durch die Verfütterung von Kohlehydraten (z.B. Bohnen) entsteht Methan = 10fach schlechter als Co² (man könnte sich aber die Biospriterzeugung sparen) . Da gäbe es schon noch einige „Problemchen“ zu lösen (ev. das Methangas zu Heizzwecken absaugen).
    Man könnte mit dem Methan ein kleines Zweitakt-Hilfmotörchen an der Hinterachse antreiben. So könnten die emittierten Gase ein wenig beim Vortrieb helfen. Wenn ich mir so überlege, was die Idee im Bundestag bewirken könnte, oh Mann, damit könnte ein ganzer Stadtteil geheizt werden. Das wäre schon fast patentfähig - Wir retten die Welt!!!

    Nein, auch das Argument der Schiengebundenheit sticht da nicht: Wer sagt denn, das unsere Hartzi´s nicht auch stolz wären, gummibereifte, leichtlaufende Kleinhänger auch in entlegene Stadtteile oder über Land zu ziehen? Fast taxenähnlich vielleicht ? So könnte man die Fahrzeuggröße der Nachfrage anpassen. Gerade in ländlichen Gebieten könnte so der Ruf-Bus ersetzt werden. Durch den Einsatz athletischer und dynamischer Arbeitsloser für die ländlichen Langstrecken fänden diese auch hier eine neue Herausforderung, der sie sich stellen können. Und die abendliche Trainingseinheit im Hantelkeller oder beim Fussballverein "FC Schluckspecht" würde so auch kompensiert werden. Der Fitnessgedannke kann gern noch weiter augeschmückt werden, wenn ich eine spezielle Untergruppe denke : z.B. die Gruppe der übergewichtigen Büffel, deren nachhaltige Zugarbeit sogar noch im Sinne der Gesundheitsförderung hätte gewertet werden können : Trimm Dich durch Tram ziehen.


    Globalisierung ist angesagt, Freunde - Also denken wir auch gleich global !


    Wie wäre es denn, das Ganze gleich weltweit anzugehen? Ich meine, wir koennten doch die ganzen Containerschiffe, die da auf den Weltmeeren herumschippern und mit grossvolumigen Dieselmotoren betrieben werden, zu Ruderbooten umbauen. Da braucht man bloss ein paar Loecher in die Waende bohren, wo die Ruder hindurchkommen und eben ein paar Baenke installieren....
    Zum Rudern kann man dann ja die Armen und Hungernden der Welt nehmen, vornehmlich aus dem Grossraum Afrika und diversen anderen Drittweltlaendern zu rekrutieren. Was koennte man da doch an Entwicklungshilfekosten sparen, hungern muesste auch keiner mehr - 'ne Schale Reis pro Tag fuer die Ruderer sollte doch drin sein, oder ?
    Und auch die Umwelt wäre entlastet, weil es keine Schiffsdiesel mehr braucht.
    Als Antreiber, oder neudeutsch "Team-Manager", mit der Peitsche sowie den taktangebenen Trommler wird man mit Sicherheit schnell hochmotivierte Entwicklungshelfer in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg oder Sachsen rekrutieren können.


    Gleiches ließe sich auch in der Binnenschifffahrt realisieren : In meiner alten norddeutschen Heimat sollen früher die Schiffe auf den Veenen über Seile von ihrer Besatzung gezogen worden sein. Ein paar Meter Platz am Ufer von Rhein, Elbe oder Weser sollten ja wohl freizuhalten sein, oder ?


    Es gäbe so viele Möglichkeiten...



    Abschließend noch mal der Hinweis :
    Das ist Satire. Ich wollte niemandem, der zufällig grade arbeitslos ist, zu nahe treten. Falls sich trotzdem wer peinlich berührt oder ertappt füllt, stelle ich mich "als Verursacher" auch der Diskussion.

    Optimisten haben gar keine Ahnung von den freudigen Überraschungen, die die Pessimisten erleben.

  • Opfer des Aufschwungs


    Der Arbeitsmarkt boomt. Immer mehr Arbeitslose verlieren ihren Job - wie Andi G. Mit Grauen erinnert sich Andi G. an den Mittag, der sein Leben aus der Bahn warf: "Der Personalchef rief mich in sein Büro, drückte mir kalt lächelnd einen Füller in die Hand", schluchzt der 37-Jährige. "Ich verstand gar nicht, was er von mir wollte, ich war total übermüdet. Doch auf dem Schreibtisch lag schon der Arbeitsvertrag."
    So wie Andi G. geht es vielen, seit die Arbeitslosigkeit in diesem Land verschwindet. 600.000 weniger Arbeitslose als vor einem Jahr - es ist nur eine Zahl, aber dahinter stehen 600.000 Einzelschicksale: Menschen, deren mühsam aufgebaute Existenz mit einem einzigen Federstrich vernichtet wird, einem Federstrich von eigener Hand, dessen Konsequenzen sie überhaupt nicht überschauen können.



    Auch Andi G. erkennt erst am Tag des Arbeitsantritts, dass er mit einem Mal vor dem Nichts steht: morgens um viertel nach sechs, als der Wecker klingelt. Doch das ist erst der Anfang, es kommt noch schlimmer: Nach neun entsetzlichen Stunden, in denen er eine Fensterscheibe nach der anderen putzen muss, fällt er abends gerädert in sein Bett, kann kaum schlafen vor lauter quälender Zukunftsangst. Wird das jetzt immer so weitergehen: Glasfassade für Glasfassade, Monat für Monat, Jahr für Jahr ?
    Augenblicklich fühlt sich Andi G. wertlos. Aus Scham verschweigt er sogar guten Freunden, was ihn morgens aus dem Haus treibt: "Ich hab mich mit meiner Münzspielsucht herausgeredet, hin und wieder sogar von zehnstündigen Puffbesuchen erzählt." Alles erscheint ihm besser als die Wahrheit. Und die lautet: Erstmals im Leben geht er regelmäßig zur Arbeit, lässt sich ausbeuten, führt ein fremdbestimmtes Leben.
    Bereits nach der ersten Arbeitswoche fällt er in ein tiefes Loch: Die Kanalisation vor dem Haus wird repariert, die ungesicherte Baustelle ist in der Morgendämmerung kaum zu erkennen. Zwar kommt er mit dem Schrecken davon; bald jedoch ist er von allen seinen Freunden isoliert. Sie lassen es weiterhin Tag und Nacht krachen, mokieren sich über seinen Rückzug von allen gesellschaftlichen Verpflichtungen und nehmen auf seine Arbeitszeiten und Schlafbedürfnisse keine Rücksicht.


    "Die Isolation ist furchtbar", flüstert Andi G., schaut befremdet auf seine schwieligen Hände und zupft nervös die aufgeweichte Haut von seinen Fingerkuppen. "Am schlimmsten aber ist die Sinnlosigkeit: Du wischst eine Fensterfront, und eine Woche später ist sie wieder dreckig." Schwer zu schaffen macht ihm auch der Alkohol- und Kohlehydratentzug: "In der Kantine gibt es immer nur ausgewogene Mahlzeiten, frisches Gemüse, Putenbrust. Und wenn alle um dich herum Mineralwasser trinken, wirst du irgendwann schwach und trinkst mit."
    Die tiefe Hoffnungslosigkeit, die ihn ergreift, wächst sich bald zu einer Depression aus. Er klagt über Rückenschmerzen, Unwohlsein, einen ständig klaren Kopf: "Diese endlose Leere und Verzweiflung - ich verbringe ganze Tage damit, nur durch Fensterscheiben zu starren. Manchmal spiele ich mit dem Gedanken, mich vor den nächsten Zug zu werfen. Aber wann?! Seit ich arbeiten gehe, habe ich ja für nichts mehr Zeit."


    Freude leuchtet in seinem Gesicht lediglich auf, wenn er von früher erzählt: "Ich war integriert, mein Job als Arbeitsloser gab mir Halt und meinem Tag eine Struktur: Aufstehen um halb eins, ein paar Bier aus dem Kühlschrank holen, das Nachtprogramm von RTL II zu Ende gucken." Tagsüber dann Besuche bei Freunden, Verwandten und dem Kiosk, daneben 1.000 Hobbys, darunter das abwechslungsreiche Fernsehprogramm, die DVDs, die Playstation - doch das ist alles lange vorbei. Kein Wunder, dass sich der Ex-Arbeitslose seiner Resignation ergeben hat und zusehends an sich selber zweifelt: "Ich frag mich immer: Warum ausgerechnet ich? Es ist ja nicht so, als ob es überhaupt keine anderen Arbeitslosen mehr gäbe."
    Das stimmt zwar - noch. Doch das Bedrohungsgefühl wächst auch unter denen, die weiterhin auf den Bänken im Park oder in der Einkaufszone hocken. Sie alle kennen jemanden, den es erwischt hat, und fürchten sich, ebenso zu enden. Und auch langjährige Arbeitsplatzbesitzer leiden unter dem Rückgang der Arbeitslosigkeit: Ihr Arbeitsplatz erscheint ihnen nichts mehr wert, seit fast jeder einen hat. Sie arbeiten automatisch schludriger, machen montags öfters mal blau oder kündigen an, einen Betriebsrat zu gründen - alles nur, um ihren Rauswurf zu provozieren. Doch ihre Hoffnung ist meist umsonst. So schnell lässt man heute keinen mehr gehen.
    Das weiß auch Andi G., selbst wenn er in letzter Zeit immer wieder denselben Traum hat: "Wenn ich noch mal ganz von vorne beginnen könnte... ", sagt er heiser, mit grauem, eingefallenen Gesicht. "Ein komplett vertrödelter Nachmittag am Fluss, mit einer Zweiliterbombe Rotwein... Aber das wird für mich wohl für immer ein Traum bleiben."

    Nasenhaare ausreißen ist der tägliche SM des kleinen Mannes